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Lettas brüchige Allianz

Von Julian Mayr

Politik
PD-Chef Enrico Letta erreichte nach zähen Verhandlungen eine Einigung mit Kräften der Mitte. Der Weg an die Macht scheint trotzdem versperrt.
© reuters / Remo Casili

Um eine rechte Regierungskoalition in Italien zu vermeiden, bräuchte es ein Wunder. Ein Mitte-links-Bündnis soll dieses bringen.


Gemeinsam mit der Fünf-Sterne-Bewegung zeichneten sie verantwortlich für das im Juli eingetretene Ende der breiten Regierungskoalition um Mario Draghi. Abgestraft wurden Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia für den Koalitionsbruch zwar mit Parteiaustritten verdienter Mandatare und Minister sowie sinkenden Umfragewerten.

Ihren Platz an den Schaltzentralen der Republik dürften sie nach der Parlamentswahl am 25. September aber beibehalten. Geht es nach jüngsten Umfragen, kann der rechte Block mit Stimmanteilen von rund 45 Prozent rechnen. Er würde, beflügelt durch hohe Zustimmungsraten für die postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) von Parteichefin Giorgia Meloni, die Wahl deutlich gewinnen und den Auftrag zur Regierungsbildung von Staatspräsident Sergio Mattarella erhalten.

Dem Mitte-links-Lager werden hingegen kaum Chancen eingeräumt, den Rechten den Regierungsanspruch streitig zu machen. Der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) kommt laut aktuellsten Umfragen mit 22 Prozent zwar in die Nähe des FdI (23 Prozent), muss aber ein breites Feld ähnlich gesinnter Parteien um sich scharen, um beim Urnengang im Spätsommer nicht völlig aussichtslos zu sein.

Am Samstagabend hat die PD eine Allianz mit den Grünen und mit der Italienischen Linken (SI/Sinistra Italiana) geschlossen. Am Dienstag hatte die Partei bereits ein Wahlabkommen mit der kleineren Zentrumspartei "Azione" und der proeuropäischen Gruppierung "Piu Europa" verkündet.

Der Mitte-Links-Allianz schließt sich außerdem die neugegründete Partei "Impegno civico" (Bürgerlicher Einsatz) um Außenminister Luigi Di Maio an, der im Juni die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung verlassen hatte. "Ich bin froh, dass ich dieses Abkommen vorstellen kann, das notwendig ist, weil das italienische Wahlgesetz den Alleingang bestraft", sagte PD-Chef Enrico Letta am Samstag bei einer Pressekonferenz.

Neues Wahlrecht

Im Rahmen des neuen Wahlrechts namens Rosatellum, einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl, werden mehr als ein Drittel der Kandidaten für das verkleinerte Parlament per Mehrheitswahl ermittelt. In Zahlen bedeutet das, dass 147 der 400 Abgeordneten und 74 der 200 Senatoren in kleineren Einerwahlkreisen gewählt werden. Da in diesem Fall jede einzelne Stimme die Entscheidung bringen kann, kommen den Parteien somit Bündnisse und gemeinsame Spitzenkandidaten zugute.

Den wahrscheinlichen rechten Wahlsieg zu verhindern, scheint jedoch das Einzige zu sein, was Mitte-links derzeit eint. Die Fragmentierung der politischen Parteilandschaft abseits von Mitte-rechts spiegelt sich auch in den diversen Interessenslagen wider. Eine breite Koalition der progressiven Kräfte, um ausreichend viele Wählerpotenziale zu bündeln, scheint derzeit kaum vorstellbar.

Am Dienstag erzielte PD-Chef Enrico Letta nach zähen Verhandlungen eine Einigung mit Kräften der Mitte, den Parteien Azione und +europa. Laut Umfragen vereinen die beiden verbündeten Leichtgewichte derzeit kaum mehr als 5 Prozent der Wähler auf sich. Der Pakt, der unter anderem die Verteilung der Startplätze für die Einerwahlkreise sowie das Verbot der Kandidatur von Spitzenkandidaten in eben diesen vorsieht, mache die Wahl laut Letta aber wieder zu einem "offenen Rennen".

Im Wahlpakt findet sich ein Bekenntnis zu Mario Draghis Regierungsagenda, wie das Festhalten am Nationalen Wiederaufbauplan, die klare außenpolitische Ausrichtung im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine oder die Umsetzung von Maßnahmen, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu vermindern.

Das war bei seinen nunmehrigen weiteren Bündnispartnern nicht goutiert worden. Luigi Di Maio von der neu gegründeten Partei Impegno civico sah durch das von Azione durchgesetzte Veto für die Kandidatur der Spitzenkandidaten seinen und den Einzug wichtiger Gefolgsleute in das römische Parlament massiv gefährdet. Azione-Chef Carlo Calenda, der eine Neuverhandlung des Paktes ausschloss, nannte er einen "Extremisten, der die Mitte-links-Koalition zersetze, bevor sie überhaupt gebildet wurde".

Grüne und Linke verärgert

Auch Grüne und Linke, die mit einer gemeinsamen Liste (Alleanza Verdi Sinistra) zur Wahl antreten und derzeit laut Umfragen knapp über der Sperrklausel von 3 Prozent liegen, zeigten sich noch Anfang der Woche verärgert über den Schulterschluss von Mitte-links. "Eine so besondere Koalition mit der Agenda Draghis als Zentrum des Programmes, ist für uns nicht praktikabel", vermeldete der Parteichef der Linken, Nicola Fratoianni, nach einem Treffen mit Letta am Donnerstag.

Konfliktpotenzial liefert, neben der Aufteilung der Wahlkreise und Sitze, insbesondere der im Abkommen vorgesehene Bau von Regasifizierungsanlagen. Zudem dürfte die Außenpolitik zu einem Zankapfel werden. Grüne und Linke sagten im Parlament jüngst Nein zur Ratifizierung der Nato-Beitritte Finnlands und Schwedens.

Bereits der vormalige Koalitionspartner des PD, die Fünf-Sterne-Bewegung, zeigte sich kritisch gegenüber dem transatlantischen Bündnis, der Entsendung von Waffen an die Ukraine und dem Bau umstrittener Gas- und Müllverwertungsinfrastruktur.

Wenig verwunderlich also, dass Grüne und Linke die vehementen Vetos von Enrico Letta und Carlo Calenda gegen eine Allianz mit den Fünf-Sternen nicht teilen. Nach dem Aus der Regierung Draghi hatten beide Parteichefs betont, eine Koalition mit den Linkspopulisten werde es nicht geben. Der Sprecher der Grünen, Angelo Bonelli, setzte sich Ende Juli jedoch für die Wiederaufnahme der Fünf-Sterne in das Bündnis ein.

Eine weitere Ausweitung des Bündnisses schloss der PD-Chef am Samstagabend aus, da es bereits schwierig gewesen sei, die Allianz in ihrer jetzigen Form aufzubauen. Dem Mitte-Links-Bündnis werden weder die Fünf-Sterne-Bewegung noch die Kleinpartei "Italia Viva" um Ex-Premier Matteo Renzi beitreten.

Renzi isoliert

Renzi steht mit seiner zentristischen Partei Italia Viva indes alleine auf weiter Flur. Bis zum Abkommen zwischen PD und Azione/+europa, hatte Renzi auf ein Bündnis der Mitte gehofft. Der 47-Jährige hatte jedoch angekündigt, nicht mit Di Maio oder den Linken unter Fratoianni zusammenarbeiten zu wollen. Ex-Premier Letta, den Renzi 2014 als Regierungschef zu Fall brachte, warf er "persönlichen Groll" gegen seine Person vor.

Ohne Allianz droht der Einzug seiner Partei in die Parlamentskammern an der Sperrklausel zu scheitern. "Ich versuche nicht, irgendwo unterzukommen. Mir ist es egal, ob ich einen Sitz bekomme", kommentiert Renzi das Geschehen.