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Der Weg der Mitte

Von Julian Mayr

Politik

Im Hinblick auf die Parlamentswahl im September formt sich in Italien ein Bündnis der kleinen Zentrumsparteien.


Das neue italienische Wahlrecht verdammt Parteien zum Schmieden oft unliebsamer Bündnisse. Mehr als ein Drittel der Kandidaten für das künftig kleinere Parlament werden in Einerwahlkreisen mittels Mehrheitswahl ermittelt. Wessen Kandidat dort auch nur eine Stimme mehr erhält, wird mit dem Einzug in Senat oder Abgeordnetenkammer belohnt.

Die rechte Koalition aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia (FI) dürfte laut neuesten Prognosen des Istituto Cattaneo in der überwältigenden Mehrheit der Einerwahlkreise als Sieger hervorgehen. Lediglich in den urbanen Metropolen oder den traditionell linken Regionen Toskana und Emilia-Romagna dürfen sich Mitte-links-Kandidaten eine berechtigte Chance ausrechnen.

Zusammen mit den Stimmen aus der Verhältniswahl prophezeit das Meinungsforschungsinstitut dem rechten Bündnis im Parlament eine absolute Mandatsmehrheit von mehr als 60 Prozent. Als "unwahrscheinlich" erachtet wird hingegen das Erreichen einer Zweidrittelmehrheit, was Änderungen der Verfassung ohne bestätigendes Referendum ermöglichen würde.

Während es für größere Parteien und Allianzen um das Erreichen möglichst vieler Parlamentssitze geht, wird die Wahl am 25. September für kleinere politische Kräfte zur Zitterpartie. Wer keine Einerwahlkreise für sich entscheiden kann und in der Verhältniswahl nicht genügend Stimmen auf sich vereint, schafft den Einzug ins Abgeordnetenhaus nicht. Das italienische Wahlrecht sieht eine nationale Sperrklausel von drei Prozent der Stimmenanteile vor.

Davon betroffen sind auch die liberalen Kleinparteien klingender Polit-Namen: jene des ehemaligen Premierministers Matteo Renzi (Italia Viva) und des EU-Parlamentariers Carlo Calenda (Azione). Beide Parteien dümpeln in Umfragen bei etwa zwei Prozent. Gemeinsam würde der Sprung über die Prozenthürde gelingen. Auch aus dieser Überlegung heraus besiegelten die beiden Parteichefs am Donnerstag ein Bündnis der Mitte. Beide Gruppierungen werben mit der Fortführung der Agenda von Mario Draghi und dem Angebot eines "dritten Pols", zwischen Links und Rechts.

"Begnügt euch nicht mit dem geringeren Übel, schickt qualifizierte Personen ins Parlament", verkündete Matteo Renzi auf Facebook den Schulterschluss und klärte indes auch, wer der beiden Exzentriker als Spitzenkandidat den Wahlkampf leiten solle, nämlich Carlo Calenda. Sein Name wird auch auf dem gemeinsamen Logo für die Wahl prangen.

"Betrügerische Kehrtwende"

Dabei standen für Calenda die Vorzeichen vergangene Woche noch grundverkehrt. "Ich bin sehr vorsichtig, vor kurzem erst ist eine Hochzeit geplatzt", gab sich Carlo Calenda am Mittwoch, einen Tag vor der Einigung, im Fernsehen noch bedeckt. Der ehemalige Minister für wirtschaftliche Entwicklung unter Matteo Renzi sprengte am Wochenende eine bereits akkordierte Wahlallianz mit dem Partito Democratico (PD), nachdem dieser auch die Linken und Grünen für ein Mitte-links-Bündnis gewinnen konnte.

Damit einher ging auch das Ende des Bündnisses von Azione mit einer weiteren liberalen Partei, +europa. "Noch nie in meinem Leben habe ich eine so abrupte, unmotivierte und betrügerische Kehrtwende erlebt", kommentierte deren Parteichefin, die ehemalige EU-Kommissarin, Emma Bonino den Bruch mit Calenda.

Trotz weitestgehender ideologischer und programmatischer Übereinstimmung von Azione und Viva Italia, war deren Übereinkunft alles andere als selbstverständlich. Das Verhältnis der der beiden Parteichefs und ehemaligen PD-Mitglieder ist ein ambivalentes. Im vergangenen Herbst hatte Calenda im italienischen Fernsehen noch wenig optimistisch von einem vereinten Zentrum und der Zusammenarbeit mit dem Ex-Premier gesprochen: "Ich werde nicht mit Renzi Politik machen, denn diese Art, Politik zu machen, ist mir ein Grauen."

Vor zwei Monaten hatte er gar prophezeit, dass Renzi sich am Ende mit dem PD verbünden würde. Nun könne der "dritte Pol" laut Renzi zur großen Überraschung der Wahl werden. Trotz derzeit noch magerer Umfragewerte zeigt sich auch Calenda optimistisch, der rechtskonservativen FI von Ex-Premier Silvio Berlusconi, die eine ähnliche Wählerschaft hat, Stimmen abnehmen zu können.

Nach Bekanntgabe der Allianz folgten die Reaktionen des politischen Kontrahenten jedoch auf den Fuß. "Eine Stimme für Renzi und Calenda ist eine nutzlose Stimme. Das Zentrum sind wir", tönte FI-Koordinator Antonio Tajani.