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Ausgebremste Autonomie

Von Julian Mayr

Politik

Bei einem Wahlsieg der Postfaschisten in Italien stünden Zentralisten an der Regierungsspitze in Rom. Südtirols Selbstverwaltung droht dann der Stillstand.


Hundert Jahre nach Benito Mussolinis Marsch auf Rom, wächst in Italien erneut die Furcht vor dem Faschismus. Etwas mehr als einen Monat vor der Parlamentswahl sorgt man sich vielerorts vor einer Machtübernahme der Fratelli d’Italia (FdI) unter Giorgia Meloni. Die Postfaschisten und ihre Anführerin erfahren laut Umfragen den größten Zuspruch unter allen Parteien und dürften im Oktober nach geschlagener Wahl zur bestimmenden Kraft in einer rechtsgerichteten Regierungskoalition werden.

Seit ihrem Bestehen sehen sich die FdI, deren Emblem eine grün-weiß-rote Flamme, ein Symbol neofaschistischer Bewegungen der Nachkriegszeit, schmückt, mit Vorwürfen der Verharmlosung und Verherrlichung des autoritären faschistischen Regimes konfrontiert. Parteichefin Meloni bemüht sich stets um Beschwichtigung, wie zuletzt in einer dreisprachigen Stellungnahme, in der sie den internationalen Nachbarn glaubhaft machen wollte, Italiens Rechte habe den Faschismus seit Jahrzehnten schon der Geschichtsschreibung überlassen.

Eingeholt wurde sie nun von einem Video aus dem Jahr 1996. Die neunzehnjährige Meloni frönte damals Benito Mussolini im französischen TV. Er sei ein guter Politiker gewesen, sagt sie in dem Ausschnitt: "Alles was er getan hat, hat er für Italien getan. In den letzten 50 Jahren gab es keine Politiker wie ihn."

Streben nach Zentralismus

In Südtirol wird man bei derartigen Aussagen stutzig. Beginnend mit der Machtübernahme der Faschisten 1922 musste die mehrheitlich deutschsprachige Bevölkerung mehr als zwei Jahrzehnte lang eine Politik der Unterdrückung und Italianisierung erdulden. Noch immer prägen faschistische Denkmäler das Stadtbild der Provinzhauptstadt Bozen.

"Sollten die nationalistischen FdI die Wahl gewinnen, wäre das für uns eine mittlere Katastrophe", meint die Senatorin Julia Unterberger mit Blick auf die besondere Selbstverwaltung des Landes. Dass heute in Südtirol ein bestimmtes Maß an Selbstbestimmtheit und ein weitgehend friedliches Zusammenleben der verschiedenen Sprachgruppen möglich ist, ist insbesondere auch der weitreichenden Autonomie, verankert im Autonomiestatut von 1972, geschuldet. Dieses regelt die Kompetenzverteilung zwischen Südtirol und der italienischen Zentralregierung.

50 Jahre nach Inkrafttreten des Statuts droht Südtirol bei der Autonomie nun ein Stillstand, fürchtet die Senatorin der Südtiroler Volkspartei (SVP). Die autonomen Spielräume, die ohnedies punktuell Schwankungen unterliegen, würden mit FdI an der Regierung "nicht wirklich ausgebaut werden können", glaubt Unterberger. Ähnliches prophezeit der ehemalige Obmann der Freiheitlichen, Pius Leitner: "Allzu schlimmes erwarte ich nicht, lediglich Stillstand. Wenn das Autonomiestatut aber wirklich einen Wert hat, dann kann es von keiner italienischen Regierung, von wem auch immer gebildet, außer Kraft gesetzt werden."

Die Gefahr schlummere ohnedies weniger in einem möglichen Wiederaufleben des Faschismus. Ein strategisches Vorgehen zur Demontage des Verfassungsstaates sei nicht realistisch, meint der ehemalige Grüne Landtagsabgeordnete und nunmehrige Senatskandidat Hans Heiss. Vielmehr liege das Problem in Melonis Zentralismusbestrebungen. Sie hegt unter anderem den Wunsch, in Italien ein semipräsidiales System zu etablieren, an deren Spitze ein starker und direkt vom Wahlvolk auserkorener Staatschef die Geschicke leitet. "Die Ziele Melonis, Italien in ein System á la Ungarn light zu überführen, liegen auf der Hand - mit Präsidialismus, eingeschränkten Grundrechten und Medien", sagt Heiss mit Blick auf Viktor Orban, der als Premier alle Zügel in der Hand hält.

Da auch Silvio Berlusconi und seine Forza Italia Verfechter zentralstaatlicher Prinzipien sind, bliebe die prinzipiell autonomiebefürwortende Lega unter Matteo Salvini der einzige Garant autonomer Grundsätze in der rechten Regierungskoalition. "Die Lega ist zwar föderalistisch eingestellt, wäre aber bei Angriffen der Zentralregierung auf die Südtirol-Autonomie nur ein Notanker. Im Zweifel wäre von der Lega kein großer Schutz zu erwarten", gibt Heiss zu bedenken.

Wenige Vertreter in Rom

Südtirols Landesregierung und Landtag müssten sich dann selbst zur Wehr setzen und mit Verhandlungen, dem Rechtsweg bis vor das Verfassungsgericht und der Anrufung Österreichs Gegendruck erzeugen, so der Historiker. Denn: "Die Grundsäulen der Autonomie haben Verfassungsrang, aber in Einzelfragen bleibt diese angreifbar, vor allem dann, wenn staatliche Grundausrichtungen geändert werden."

Da Meloni zudem in der Vergangenheit bereits mit südtirolfeindlichen Aussagen aufgewartet hatte, scheint auf den ersten Blick verwunderlich, dass die regierende SVP vor der Parlamentswahl nicht klar Stellung bezieht und stattdessen blockfrei agieren will. Zwar seien die FdI laut Unterberger in der gesamten Partei ein Tabu; die Scheu vor der populistischen und nationalistischen Rechten hat die letzthin von Skandalen und internen Grabenkämpfen gebeutelte Sammelpartei aber längst verloren. Seit 2018 bildet die SVP mit Salvinis Lega die Landesregierung, 2019 stellte sie sich gemeinsam mit Berlusconis Forza Italia der Wahl zum Europaparlament.

Mitte-links hingegen sei vielen in der Partei ein Dorn im Auge; eine Unterstützung des progressiven Bündnisses wurde abgelehnt, ebenso wie der Schulterschluss mit der lokalen Opposition. "Ich persönlich hätte die Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen PD, die uns vor Angriffen der Rechten geschützt hat und 20 Jahre ein starker Verbündeter war, fortgesetzt", bekundet Unterberger. Will Südtirol, vertreten von zwei Senatoren und drei Kammerabgeordneten unter insgesamt 600 Delegierten, seinen Interessen in Rom Geltung verleihen, bedarf es jedenfalls eines größeren Partners. Das Konzept der Blockfreiheit sei also "absurd."