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Wind dreht sich Richtung Atomkraft

Politik

In der Schweiz fordert eine Initiative den Bau neuer Kraftwerke. Sie liegt im internationalen Trend - viele Staaten forcieren die Atomenergie.


Sie fordern den Ausstieg vom Atomausstieg. In der Schweiz hat sich die Initiative "Jederzeit Strom" gebildet, die verlangt, das Bauverbot für neue AKW aufzuheben. Durch dieses hat der Schweizer Bundesrat 2011 - im Jahr der Nuklearkatastrophe von Fukushima - den langfristigen Atomausstieg in die Wege geleitet. Da die AKW begrenzte Laufzeiten haben, würde eines nach dem anderen abgedreht werden, das jüngste in Leibstadt wäre nach etwa 50 Jahren Betriebsdauer um das Jahr 2034 an der Reihe. In Mühleberg wird seit 2020 auch erstmals ein AKW rückgebaut.

Die AKW-Befürworter meinen nun aber, dass Atomstrom für die Energiesicherheit der Schweiz essenziell sei. Sie wollen in der Verfassung verankern, dass alle klimaschonenden Arten der Stromerzeugung zulässig seien - und dazu zählen sie auch die Atomkraft. Das Sammeln der Unterschriften soll bereits kommende Woche starten: Die Initiative wird am Dienstag im Bundesblatt veröffentlicht.

Umweltverbände und AKW-Gegner sind empört. Angesichts des Potenzials der erneuerbaren Energie "braucht es keine neuen, nicht finanzierbaren Atomkraftwerke, die niemand bauen will", verkündeten in einer Mitteilung Parlamentarier mehrere Parteien. Und die Schweizer Energiestiftung "SES" kritisiert, dass die Atomenergie ein "zentraler Risikofaktor" sei.

Mehr Geld für Kraftwerke

Damit ist auch in der Schweiz die Debatte über die Atomkraft, die in vielen Ländern mit ähnlichen Argumenten geführt wird, wieder voll entbrannt. International dreht sich dabei der Wind gerade eher in Richtung Atomkraft. Die Gründe dafür sind die Explosion der Energiepreise sowie die Abhängigkeiten bei Gas- und Ölimport. Die Internationale Energieagentur (IAE) sieht schon Parallelen zum Ölpreisschock 1973, nach dem viele Staaten AKW bauten.

Die große Mehrzahl der neunen Kraftwerke wird nun laut IAE voraussichtlich in Schwellenländern wie der Türkei oder Indien errichtet. Aber auch innerhalb der EU erlebt die Atomkraft einen Aufschwung. Dass Investitionen in diese nun unter gewissen Bedingungen als klimafreundlich eingestuft werden können, lag nämlich auch daran, dass sich viele Staaten mehr Geld für die Atomkraft erhoffen. 14 der 27 EU-Staaten betreiben AKW.

Länder wie Tschechien und die Slowakei mit ihren in Österreich umstrittenen Kraftwerken in Temelin oder Mochovce sehen sich von den jüngsten Entwicklungen bestätigt und halten an ihrem Kurs fest. Frankreich, das seit jeher auf Atomstrom setzt, will die Atomenergie ausbauen und forscht an einer neuen Generation von Reaktoren. Aber auch Staaten, in denen Zweifel an der Atomkraft aufkamen, schwenken um: So hat Belgien den Atomausstieg verschoben und die Laufzeit von zwei Kraftwerken um zehn Jahre verlängert.

Auch global setzen die meisten großen Industrienationen auf Atomenergie. Für US-Präsident Joe Biden etwa ist die Atomkraft ein Kernstück seiner Energiewende, Investoren wie Bill Gates oder Jeff Bezos schmeißen große Beträge in Kernenergie-Start-ups. Selbst Japan will trotz der Fukushima-Katastrophe und der weiter vorhandenen Gefährdung durch Erdbeben nun die Laufzeiten von Kraftwerken verlängern und neue bauen. Die Regierung erklärte diesen Schwenk mit den scharfen Sicherheitsvorkehrungen, die für AKW gelten.

Besonders heftig ist die Debatte in Deutschland im Gange. Während die grüne Außenministerin Annalena Baerbock eine Abkehr vom Atomausstieg als "Irrsinn" bezeichnet, fordern genau das Politiker aus CDU/CSU und FDP.

Deutscher Ausstieg wackelt

Vorerst geht es einmal darum, ob die Laufzeit der drei AKW, die noch im Betrieb sind, über das Jahresende verlängert und so der Ausstieg verschoben werden soll - wofür sich in einer Umfrage Anfang August 80 Prozent der Befragten aussprachen. Die Regierung will darüber entscheiden, wenn der Stresstest vorliegt, inwieweit das technisch machbar ist. Mit dessen Ergebnis wird in den kommenden Tagen gerechnet.

Ein Hauptargument der AKW-Befürworter laute, dass man sich damit unabhängiger von Russland und seinen Gaslieferungen mache. Aber auch in der Atomkraft bestehen Abhängigkeiten. So ist die Slowakei für den Betrieb ihrer AKW auf russische Uranlieferungen angewiesen. Die Regierung will das ändern, doch das kann Jahre dauern. (klh)