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Vom Preisdeckel bis zur Abgabe

Von Martyna Czarnowska und Alexander Dworzak

Politik
Ein Drittel der französischen Haushalte heizt mit Strom.
© reuters / Benoit Tessier

EU-Größen Deutschland und Frankreich gehen unterschiedliche Wege bei der Bekämpfung der Energie-Rekordpreise.


Der genaue Wortlaut war zunächst nicht bekannt. Doch die Textnachricht, die der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck an die europäischen Energieminister geschrieben hat, war italienischen Medien dennoch eine Meldung wert. Sie berichteten, dass Deutschland laut Habeck einen Preisdeckel beim Gas in Erwägung ziehen könnte.

Maßnahmen, um den drastischen Anstieg der Energiepreise zu bremsen, werden denn auch im Mittelpunkt eines außerordentlichen Treffens der EU-Minister in der kommenden Woche stehen. Ideen gibt es einige - und Differenzen darüber ebenso. So ist zum Beispiel von einer Entkoppelung der Gas- und Strompreise die Rede, von Preisdeckeln und einer Übergewinnsteuer für Unternehmen, die derzeit hohe Profite verzeichnen.

Jedenfalls brauche es eine Reform des Strommarktes, findet die EU-Kommission. Deren Präsidentin Ursula von der Leyen will das Anfang des nächsten Jahres angehen, wie sie am Montag bei einer Veranstaltung in Berlin ankündigte. Allerdings sei auch ein "Notfallinstrument" nötig - und "da sprechen wir von Wochen". Zuvor hatte von der Leyen bei einer Konferenz in Slowenien eingeräumt, dass die in die Höhe schießenden Preise die Grenzen "unseres jetzigen Strommarktdesigns" aufzeigten. "Wir brauchen ein neues Marktmodell für Elektrizität", befand die Kommissionspräsidentin.

Spanier zahlen für Frankreich

So drängen etliche Länder darauf, das Problem auf EU-Ebene zu heben. Das bringt die Kommission allerdings auch in die Bredouille. Denn als Vertreterin einer eher liberalen Wirtschaftsordnung steht die Brüsseler Behörde Markteingriffen skeptisch gegenüber. Dennoch erlaubte sie beispielsweise Spanien und Portugal gewisse Lenkungsmaßnahmen, um die Energiepreise zu deckeln. Und sie deutete an, dass sie eine Übergewinnsteuer in der einen oder anderen Form unterstützen würde.

Die Sonderregelungen in Spanien und Portugal sind nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die Stromnetze der iberischen Halbinsel nur zu einem geringen Teil mit dem Norden Europas verbunden sind. Spanien und Portugal haben schon früh in Flüssigerdgas investiert und stützen nun die Preise. Eine Megawattstunde (MWh) Gas kostet seit Anfang Mai im Durchschnitt knapp 50 Euro - vor der Einigung mit der Kommission war es noch doppelt so viel. Bis Ende Mai des nächsten Jahres dürfen die beiden Länder nun Zuschüsse im Wert von knapp 8,5 Milliarden Euro an Stromerzeuger auszahlen.

Sogar 14,5 Milliarden Euro lässt sich Frankreich seinen sogenannten Tarifschild alleine heuer kosten. Der Gaspreis bleibt dadurch - für viele, jedoch nicht alle Haushalte - unverändert; bei Strom beträgt der Aufschlag lediglich vier Prozent. Das ist vor allem im Winter wichtig, spielt doch Strom beim Heizen, anders als beispielsweise in Österreich, eine bedeutende Rolle. Ein Drittel der Haushalte heizt so.

Wichtigster Stromlieferant des Landes sind dessen Atomkraftwerke. Als ob es in Europa nicht an Krisen mangle, wird Frankreich diesen Sommer auch von Problemen im heimischen Energiesektor heimgesucht. Von den 56 Reaktoren stehen 18 aufgrund langfristig angekündigter Wartungsarbeiten still. Weitere zwölf wurden wegen Korrosionsschäden vom Netz genommen. Somit steht mehr als die Hälfte der Kraftwerke nicht zur Verfügung. Frankreich muss daher völlig untypisch bereits im Sommer Strom importieren - und bedient sich auch des gedeckelten spanischen Stroms. Die Steuerzahler auf der iberischen Halbinsel subventionieren also ihre französischen Nachbarn zu einem Teil mit.

Gasumlage wird reformiert

Die Strompreise im Großhandel sind in Frankreich binnen eines Jahres von 85 Euro pro Megawattstunde auf mehr als 1.000 Euro gestiegen. Einerseits erreichen die Marktpreise schwindelerregende Höhen, anderseits diktiert die Politik einen Preisdeckel. Diese Kombination bringt den Energieriesen Electricité de France (EdF) ins Wanken. Dessen Schulden werden sich Schätzungen zufolge bis Jahresende auf 60 Milliarden Euro erhöhen. Die Regierung in Paris musste im Sommer die Reißleine ziehen und kündigte die komplette Verstaatlichung der EdF an, an der Frankreich zuvor 84 Prozent gehalten hatte. Alleine diese Maßnahme kostet die französischen Steuerzahler knapp zehn Milliarden Euro. Präsident Emmanuel Macron schwört die Bevölkerung bereits auf ein "Ende des Überflusses" und ein "Ende der Sorglosigkeit" ein.

Sorgenfalten trägt in Deutschland derzeit insbesondere Wirtschaftsminister Habeck. In den ersten Monaten des Kriegs in der Ukraine noch überschwänglich gelobt für seine offene Kommunikationspolitik und das Benennen europäischer Dilemmata, kämpft der Grüne nun mit seiner unausgegorenen Gasumlage. Ab Oktober sollten alle Gaskunden 2,4 Cent pro Kilowattstunde zusätzlich zahlen, um die gestiegenen Einkaufskosten von Gas-Großimporteuren abzufedern. Aber auch Unternehmen, die sich nicht in wirtschaftlichen Turbulenzen befinden, können Ausgleichszahlungen beantragen; beispielsweise VNG, dessen Mutterkonzern EnBw im ersten Halbjahr 1,4 Milliarden Euro Gewinn erzielte. Zusätzliche Belastungen für die ohnehin inflationsgeplagten Bürger bei gleichzeitigem Steuergeld auch für hochprofitable Konzerne - das kommt schlecht an.

Habeck sagte nun vor der Regierungsklausur der Koalition im "Deutschlandfunk", man müsse "die Trittbrettfahrer vom Trittbrett schubsen". Staatlich gestützte Unternehmen sollten keine Dividenden an Aktionäre auszahlen dürfen, das Management müsste ohne Boni auskommen. Vor allem sollte nur jenen Firmen geholfen werden, welche für die Gasversorgung unbedingt notwendig sind. Dies zielt vor allem auf den größten Gasimporteur, Uniper, sowie die einst russische Gazprom Germania, die unter staatliche deutsche Treuhandschaft gestellt worden ist.

Gazprom kündigte derweil an, dass von heute, Mittwoch, bis Freitag dieser Woche keine Gaslieferungen durch seine Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 erfolgen würden. Der russische Staatskonzern macht Wartungsarbeiten für den Ausfall verantwortlich. In der EU wird Gazprom als Kriegswerkzeug des Kremls gesehen.