Zum Hauptinhalt springen

Ein letzter Applaus für Ihre Majestät

Von Vilja Schiretz aus London

Politik
Trauer um die Queen vor dem Buckingham Palace.
© reuters / Nicholls

Zehntausende Menschen pilgerten vor den Buckingham Palace um Abschied von Queen Elizabeth zu nehmen.


Das Pub "Oxford Arms" im Londoner Stadtteil Camden Town ist am Donnerstagabend gut besucht. Bier und einige Cocktails werden ausgegeben, einzelne Gäste bestellen etwas zu essen. Als ein Kellner verkündet, dass der Regen so weit aufgehört hat, dass die Terrasse geöffnet werden kann, ist die Freude groß. Die Gäste, die im Pub bleiben, verfolgen eher leidenschaftslos ein Fußballspiel, das auf vier im Lokal verteilten Fernsehern übertragen wird.

Eine junge Britin verschwindet auf der Toilette, um ihre Haare zu kämmen und ihr vom Regen verwischtes Make-Up nachzubessern.  "Er hat mich gefragt, ob wir in Camden fortgehen sollen", seufzt sie "und ich habe gesagt, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, ausgerechnet in Camden fortzugehen. Und jetzt bin ich hier."

"Die Königin ist verstorben"

Als sie zurück in die Gaststube kommt, ist auf drei von vier Bildschirmen der Stadionrasen einem Standbild der Queen gewichen, ganz leise ist die britische Hymne zu vernehmen. Sie wird allerdings von den lauten Stimmen der Pub-Besucher übertönt, ebenso wie von einer Werbeunterbrechung des Fußballspiels, das am vierten Bildschirm weiterhin zu sehen ist. Als ein BBC-Nachrichtensprecher mit schwarzer Krawatte vor die Kamera tritt, schaltet irgendjemand die Werbung auf lautlos. "Oh my fucking god, no!", flüstert die Frau, die gerade noch mit der Planung ihres Abends beschäftigt war, als der Moderator das ausspricht, was im Pub allmählich jedem klar wird. "Ihre Majestät die Königin ist verstorben." Im Lokal ist es abgesehen von der BBC-Übertragung ganz still geworden. Biergläser stehen unberührt auf den Tischen, Fish and Chips werden kalt. Eine Frau, die an der Bar sitzt, beginnt zu weinen. Wortlos legt ihr Partner einen Arm um ihre Schultern.

Die BBC zeigt weitere Aufnahmen der Königin, abwechselnd mit aktuellen Bildern der Szenen vor dem Buckingham Palace, wo sich die Menschen schon im Laufe des Tages zu versammeln begannen, als Nachrichten über den schlechten Gesundheitszustand der Queen die Runde machten. Mit ruhiger Stimme fasst der Moderator die lange Regentschaft Ihrer Majestät zusammen, betont immer wieder, mit wie viel Würde und Verantwortungsbewusstsein sie ihre Aufgaben erfüllte. "Es ist schwierig, über sie in der Vergangenheitsform zu sprechen", fügt er nach einer kurzen Pause hinzu.

Nach zehn, vielleicht 15 Minuten schalten die Angestellten im Pub den Ton die BBC-Übertragung wieder ab. Statt Fußball, der auf einem der Fernseher unbeirrt aber lautlos weiterläuft, gibt es nun eine Playlist mit ruhigen, melancholischen Liedern. "All the pretty girls" der isländischen Band Kaleo macht den Anfang. Die Pubgäste trinken aus, essen fertig, packen zusammen. Das Lokal leert sich.

Menschen strömen vor den Palast

Voll wird es stattdessen in den U-Bahn-Zügen, die vom nördlichen Camden in die Londoner Innenstadt fahren. Menschenströme pilgern aus allen Richtungen zum Platz vor dem Buckingham Palace, ruhig und geordnet, einige haben Blumensträuße dabei. In zentrumsnahen Stationen der Underground sind bereits Tafeln aufgestellt, auf denen der Kommissar für öffentlichen Verkehr seine "große Bestürzung" ob des Todes der Monarchin zum Ausdruck bringt. Die britische Flagge auf dem Dach des Palastes weht auf Halbmast.

"Sie ist ja nicht einmal hier, sondern in ihrem verdammten Schloss in Schottland", sagt eine junge Frau zu ihrer mit Blumen ausgestatteten Begleiterin. Diese schiebt sich weiter durch die Massen zum Zaun vor dem Palast, wo die Trauernden bereits Sträuße zwischen die Gitterstäbe gesteckt haben. Die Nörglerin folgt ihr ohne weiteren Protest. Viel gesprochen wird ohnehin nicht auf dem Platz. Trotz der zehntausenden Menschen, die gekommen sind, ist es weitgehend still. Gleichzeitig werden unzählige Handys hochgehalten, ihre Besitzer versuchen, die Stimmung in jenem Moment, der das Ende einer über 70-jährigen Ära markiert, auf Bildern und Videos einzufangen.

Viele versuchen ein Foto von jener Tafel zu ergattern, auf der der Palast das Volk offiziell über das Ableben Ihrer Majestät informiert. Doch die Tafel hinter dem Zaun ist von unzähligen Hinterköpfen verdeckt, von jungen wie alten, von Köpfen mit Dreadlocks oder bunt gefärbten Haaren, mit Kopftüchern und Turbanen. Dabei gibt es vor dem Palast abgesehen von der Tafel nicht viel zu sehen. Und trotzdem sind sie alle gekommen, um von ihrer Königin Abschied zu nehmen oder einfach Teil des Geschehens zu sein. "Eine wie sie werden wir nie wieder bekommen", sagt eine ältere Frau nachdenklich. Dann füllt sich der Platz mit verhaltenem Applaus und die Menschen lassen ihre Queen mit "Hip hip hooray"- Rufen ein letztes Mal hochleben.