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Viele Fragezeichen um Italiens Sozialdemokraten

Von Julian Mayr

Politik

Droht dem PD ein "französisches Schicksal"? Parteichef Letta kämpft mit Kritik von rechts, von links und aus den eigenen Reihen.


Als zu Wochenbeginn zahlreiche Staats- und Regierungschefs in London am Begräbnis von Königin Elizabeth II. teilnahmen, empfing Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz am selben Tag den Parteichef des Partito Democratico (PD), Enrico Letta, im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Thema des Gespräches waren unter anderem der europäische Gaspreisdeckel, die Situation in der Ukraine und die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien.

Die letzten Tage vor dem italienischen Wahltermin am Sonntag nutzte Letta aber in erster Linie auch, um sich öffentlichkeitswirksam Wahlkampfschützenhilfe der deutschen Genossen zu sichern. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbein wurde eine klare Botschaft gesendet: "Es wäre ein wirklich wichtiges Signal, wenn Italiens Sozialdemokraten gewinnen würden und nicht Giorgia Meloni, deren postfaschistische Partei Fratelli d‘Italia (FdI) das Land in die falsche Richtung lenken würde", befand Klingbeil. Doch die Geschichte von der Bedrohung der Rechten alleine wird den Sozialdemokraten schwerlich zum Erfolg verhelfen.

Fratelli weiter führend

Der Partito Democratico hofft auf eine ähnlich fulminante Aufholjagd, wie sie die deutschen Sozialdemokraten bei den Bundestagswahlen vor einem Jahr vollzogen hatten. Damals war die SPD mit Kanzlerkandidat Scholz in den letzten Wochen vor der Wahl in puncto Wählergunst noch an den Christsozialen vorbeigezogen. Letta zeigte sich überzeugt, dass seine Partei gegenüber Melonis FdI aufholen und als stärkste Einzelpartei bei den Parlamentswahlen hervorgehen könnte.

Der Urnengang wird seiner Ansicht nach ein Ergebnis mit einer klaren Mehrheit mit sich bringen, womit der 56-jährige Ex-Premier recht behalten dürfte. Während das komplexe italienische Wahlgesetz, eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht, Prognosen über Mehrheitsverhältnisse in den Kammern des Parlaments nur bis zu einem gewissen Grad ermöglicht, scheinen die Chancen für Lettas Mitte-links-Koalition jedoch nicht allzu gut zu stehen.

Die letzten Prognosen vor der Wahlruhe - einer fünfzehntägigen Sperrfrist vor dem Termin des Votums, in der die Veröffentlichung neuer Umfrageergebnisse untersagt ist - sehen die FdI mit leichten Zuwächsen weiterhin auf Platz eins, mit Werten um 25 Prozent. Der PD hingegen scheint mit 22 Prozent etwas abgeschlagener zu sein als noch im August. Dahinter macht Giuseppe Conte mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung wieder an Boden gut und überholt mit 13 bis 14 Prozent laut manchen Meinungsforschern sogar Matteo Salvini und seine Lega, die laut letzten Prognosen bei etwa zwölf Prozent rangiert. Obwohl auch Forza Italia (FI) unter der Führung von Ex-Premier Silvio Berlusconi auf unter 8 Prozent gefallen ist und droht, vom Zentrumsbündnis Azione/Italia Viva - je nach Umfrage bis zu 7,8 Prozent - eingeholt zu werden, dürfte das rechte Bündnis aus FdI, Lega und FI als klarer Sieger hervorgehen.

"Meloni im Programm"

Nur wenn die Sozialdemokraten gewännen, gab sich Letta in Berlin selbstbewusst, wären die Demokratien zufrieden. Bei einem Sieg der Rechten hingegen wäre der russische Präsident Wladimir Putin "der Erste, der sich freuen würde", warnte der Italiener.

Das Evozieren der Gefahr von rechts, so die Replik von Meloni, sei mangels eigener Programmatik das einzige Steckenpferd der Linken: "Sie können nur über uns reden und nicht darüber, wie sie Italien nach zehn Jahren, in denen sie nichts erreicht haben, wieder aufrichten wollen. Im Programm des PD steht Giorgia Meloni", sagte die FdI-Chefin am Rande einer Kundgebung in Turin.

Tatsächlich scheint der Wahlkampf des Toskaners, der nun mit einer Tour durch Süditalien seinen Abschluss findet, auf ein Duell mit Meloni zugespitzt zu sein, um damit möglichst viele Stimmen des zerstrittenen Mitte-links-Lagers zu lukrieren. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand das Kopf-an-Kopf-Rennen vergangene Woche in einer vom "Corriere della Sera" übertragenen Live-Debatte zwischen den Vorsitzenden der zwei umfragestärksten Parteien.

Andere gewichtige politische Kontrahenten wie Giuseppe Conte oder die Zentristen und Ex-Premiers Carlo Calenda sowie Matteo Renzi blieben unberücksichtigt - sehr zu ihrem Missfallen. Für Unmut sorgte zudem der Appell des PD-Chefs an das Wahlvolk, seiner Partei eine "sinnvolle Stimme" zu schenken. Eine Unterstützung der Fünf-Sterne-Bewegung oder des Bündnisses Azione/Italia Viva helfe nur der Rechten, beteuerte Letta. Von seinen einstigen Parteikollegen und Bündnispartnern erntete er nicht zuletzt auch Kritik für seine Auslandsreise. "Man holt sich nicht den Segen der Partei eines anderen Landes", meinte Calenda, während Renzi Letta einen "verdeckten Agenten Melonis" nannte.

Internes Hickhack

Doch nicht nur die politische Gegnerschaft störte sich an Lettas Wahlkampftaktiken. Auch die Koalitionspartner aus Grünen und Linken (Alleanza Verdi Sinistra) zeigen sich irritiert von Aussagen des PD-Chefs, wonach die Sozialdemokraten ohnehin nur einen Wahl- und keinen Regierungspakt mit dem kleinen Juniorpartner haben. Selbst bei einem Sieg des PD am 25. September dürften die Karten also neu gemischt werden.

Denn auch innerhalb der Partei soll es Medienberichten zu Folge rumoren. Laut der Tageszeitung "Il Foglio" sitze Enrico Letta keineswegs fest im Sattel und müsste bei einem Wahlergebnis von weniger als 20 Prozent wohl seinen Sessel räumen. Angeheizt wird die Debatte auch von Fünf-Sterne-Chef Conte, der eine zukünftige Zusammenarbeit seiner Bewegung mit dem PD von einer Bedingung abhängig macht: "Nicht mit dieser PD-Führung." Conte schürt damit interne Tendenzen, die eine Kooperation mit den Fünf Sternen am liebsten nie abgebrochen hätten. Letta hingegen hatte ein Bündnis mit der Fünf-Sterne-Bewegung kategorisch ausgeschlossen, nachdem diese mitverantwortlich für das Ende der Regierung von Mario Draghi gezeichnet hatten.

Bei den Sozialdemokraten, so schreibt der "Corriere della Sera", fürchte man nun, Italiens Mitte-links-Lager könnte ein "französisches Schicksal" blühen, mit der Folge einer Zersplitterung: Conte auf den Spuren des Linkspopulisten Jean-Luc Melenchon auf der einen, Renzi und Calenda als aufstrebendes Pendant zu Emmanuel Macron auf der anderen Seite. Dazwischen stehen die zusehends isolierten Sozialdemokraten.