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Unruhige Zeiten - für Italien und die EU

Von Julian Mayr

Politik
Der Regierungswechsel am Palazzo Chigi wirft seinen Schatten voraus.
© reuters / Yara Nardi

Laut Ökonomen droht der EU vorerst keine Konfrontation mit Italiens neuer Mitte-rechts-Koalition. Aber mittelfristig könnten die Ziele von Brüssel und Rom kollidieren.


Noch am Wahlabend erreichten Giorgia Meloni Glückwünsche aus ganz Europa: vom französischen Rassemblement National der Marine Le Pen, über die polnische Regierungspartei PiS und Spaniens Vox bis hin zur deutschen AfD und zu Österreichs Freiheitlichen. Europas Rechte frohlockt über den Sieg der Mitte-rechts-Koalition aus Fratelli d’Italia (FdI), Lega und Forza Italia (FI). Für Sorgenfalten sorgt der Erdrutschsieg hingegen in den Schaltzentralen der EU in Brüssel - trotz der Lippenbekenntnisse Melonis und Silvio Berlusconis (FI), sie würden als Garant für die proeuropäische Ausrichtung der Regierungskoalition einstehen. Eines offiziellen Urteiles enthält man sich seitens der EU-Kommission jedoch, man hoffe lediglich auf eine "konstruktive Kooperation", wie ein Sprecher der EU-Behörde meinte.

Politisch wie wirtschaftlich dürften durch den italienischen Kurswechsel in jedem Fall unruhigere Zeiten anbrechen. "Italien wird wieder zum politischen Wackelkandidaten", sagte etwa Jörg Zeuner, der Chefökonom der Fondsgesellschaft Union Investment der Nachrichtenagentur Reuters. Interessant werde vor allem die im nächsten Jahr anstehende Haushaltsplanung und deren Bewertung durch die EU. Auch die Auszahlung der Milliarden Euro schweren Hilfen aus dem Corona-Hilfstopf der EU könnte zum Zankapfel werden.

Mittelfristiges Risiko

"Wir rechnen nicht mit einem sofortigen Vorstoß für eine größere finanzpolitische Lockerung. Aber wir sehen mittelfristig das Risiko, dass die politische Agenda der Rechten mit den EU-Zielen kollidiert", konstatierte Thomas Gitzel, Chefökonom der Liechtensteiner VP Bank. Der politische Gegenwind aus Italien werde größer.

"Italien hat nun ein Erpressungspotenzial in der Hand gegenüber der EU", erklärte der Politologe Günther Pallaver der Austria Presseagentur. Gemeinsam mit Polen und Ungarn könne der Gründungsstaat der Europäischen Union politische Entscheidungen, unter anderem im Bereich der Außenpolitik, blockieren.

Konflikte könnte es außerdem beim EU-Stabilitätspakt geben, der die Schulden in Europa begrenzen soll. Die Wahlprogramme der Mitte-rechts-Parteien versprechen üppige Steuersenkungen, deren Refinanzierung keineswegs gesichert ist und wohl eine Lockerung der europäischen Schuldenregeln notwendig machen würde.

Zumindest Italiens hohe Schulden seien derzeit aber tragfähig, befindet Zeuner: "Nur ein Achtel der Gesamtschulden muss jährlich am Kapitalmarkt frisch aufgenommen werden." Die vergangenen Jahre seien genutzt worden, um sich langfristig mit günstigen Konditionen zu refinanzieren. "Auch die hohe Inflation - wir erwarten für 2023 eine Teuerung von 6,2 Prozent für Italien - wirkt sich positiv auf die reale Schuldenlast des Landes aus", stellt Zeuner fest. Für das Land wird es jedoch teurer, Schulden am Kapitalmarkt aufzunehmen.

Die Rendite zehnjähriger Anleihen stieg am Montag auf ein Neun-Jahres-Hoch. Der Euro stand unter Druck und fiel zeitweise um bis zu 1,3 Prozent auf ein 20-Jahres-Tief.

Finanzminister entscheidend

Einer der ersten wichtigen Wegweiser werde die Ernennung des Finanzministers sein, wobei eine proeuropäische, fiskalisch vorsichtige Persönlichkeit vorerst als wahrscheinlich gelte, sagte Ökonomin Giada Giani von der Citibank. Ein möglicher Name für den Posten des Finanzministers ist EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta. Ein Wörtchen mitzusprechen wird hier auch Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella haben, der die Minister auf Vorschlag des künftigen Premierministers oder der Premierministerin offiziell ernennt. Dass Mattarella dabei keine passive Rolle einnehmen muss, zeigte er bereits vor vier Jahren. Bei der Regierungsbildung zwischen der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtspopulistischen Lega 2018 legte er sein Veto gegen den eurokritischen Ökonomen Paolo Savona als Wirtschafts- und Finanzminister ein. Neben dem Finanzministerium, werden auch das Außenamt sowie die Ressorts für Inneres und Verteidigung als sensible Ministerien angesehen. Für das Außenministerium gilt der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments Antonio Tajani (FI) als ausichtsreicher Kandidat.

Die Besetzung der Ressorts verspricht indes, intern für Reibungen zu sorgen. Dies, obwohl Melonis Fratelli mit Abstand mehr Stimmen einheimsten als die Parteien ihrer beiden Mitstreiter gemeinsam. Die 45-jährige Römerin zementierte ihren bereits im Voraus geäußerten Anspruch auf den Posten der Premierministerin. Kurz vor der Wahl erwähnte sie, schon eine Namensliste für die Besetzung des Kabinetts parat zu haben. Postwendend kam die Replik von Lega-Chef Matteo Salvini: "Das Regierungsteam bilden wir gemeinsam." Wie der "Corriere della Sera" schreibt, gelte es für Meloni nun, "inklusiv und großzügig" zu sein, um die Bündnispartner mit der Umkehr der Machtverhältnisse in der Koalition nicht zu sehr zu belasten.