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Eigene Partei pfeift Truss zurück

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Großbritanniens neue Premierministerin nimmt nach scharfer Kritik ihre Steuervergünstigungen für Reiche zurück. Doch es bleiben eine Menge ungedeckter Schulden für den Staat.


Was die Märkte nicht vermochten, schafften Tory-Abgeordnete im Handumdrehen. Es brauchte keine 24 Stunden auf dem Parteitag der britischen Konservativen, damit die neue Premierministerin Liz Truss begriff, dass sie mit ihrer Politik radikaler Steuersenkungen zugunsten der Reichen im Lande nicht durchkam: Dass sie das Steuer herumreißen musste, um nicht selbst über Bord zu gehen.

Tagelang hatte sie damit gezögert. Noch als das Pfund absackte, Regierungsanleihen ins Trudeln gerieten, der IWF ungläubig Alarm schlug und die Bank von England in letzter Minute britische Rentenfonds vor dem Kollaps bewahrte, hatte Truss völlig unbeirrt verkündet, eine Kursänderung gebe es bei ihr nicht.

Ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng sagte genau dasselbe wie seine Chefin. Am Sonntagabend teilten seine Mitarbeiter noch Auszüge der Rede aus, die er am Montag auf dem Parteitag halten wollte - und in der er sagen würde: "Wir müssen auf Kurs bleiben. Ich davon überzeugt, dass unser Plan der richtige ist."

In der Nacht auf Montag freilich wurde der Plan geändert. In einer eilig anberaumten Krisensitzung kamen Kwarteng und Truss zu dem Schluss, dass sie ihre politischen Mitstreiter ebenso wie ihre Wähler gründlich verunsichert und gegen sich aufgebracht hatten.

Vor allem der Beschluss, den Steuerspitzensatz von 45 Prozent für Top-Verdiener abzuschaffen, während zugleich Millionen Briten sich nur mit Mühe über Wasser halten können, stieß auf Unverständnis - nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in weiten Teilen der konservativen Fraktion. Prominente Tories wie die Ex-Minister Michael Gove und Grant Shapps hatten offen Front gemacht gegen diese Politik. Shapps erklärte: "Dies ist wirklich nicht der rechte Zeitpunkt, um den Leuten Geld zu schenken, die es am wenigsten brauchen."

Angst vor Stimmverlusten

Ganz abgesehen von der Frage der wirtschaftlichen Folgen fand auch der frühere Vize-Premier Damien Green, mit der Politik von Truss und Kwarteng riskierten die Konservativen, als "die Partei der Reichen" gebrandmarkt zu werden: "Fatalerweise werden dann auch die meisten Leute nicht mehr für uns stimmen. So verlieren wir mit Garantie die nächste Wahl."

In der Tat haben alle jüngsten Umfragen den Tories bescheinigt, dass die Konservativen seit Kwartengs spektakulärem "Mini-Budget"-Debakel ihren Ruf als verlässliche Finanzverwalter komplett verloren haben. Einer Umfrage zufolge liegt die Konservative Partei inzwischen 33 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour Party zurück.

Das hat begreiflicherweise nackte Angst unter vielen Tory-Abgeordneten ausgelöst - vor allem unter denen, die die ärmeren Gebiete Nord- und Mittelenglands vertreten und die nur dank der großen Brexit-Wahlversprechen Boris Johnsons im Jahr 2019 gewählt worden waren. Bei den nächsten Unterhaus-Wahlen, vermutlich im Frühjahr 2024, glauben sich diese Tories schon jetzt chancenlos.

Als dann die ersten Spekulationen laut wurden, wie man die vor vier Wochen ernannte Regierungschefin am ehesten wieder loswerde, kamen Truss und Kwarteng eilends überein, die vorgesehene Abschaffung des 45-Prozent-Steuersatzes besser erst einmal auf Eis zu legen. Der Streit um die Top-Steuer lenke doch nur ab von der "grundsätzlichen Mission", die er und Truss letztlich verfolgten, sagte Kwarteng.

Nur taktisches Missgeschick

Als Fehler mochte der Schatzkanzler seinen Kurs dabei nicht einstufen. Nur taktisch, von der Präsentation her, sei die Sache schlecht gelaufen: "Das verstehen wir ja." Zum Einlenken bewegen ließen sich Truss und Kwarteng am Ende so nicht durch die Empörung der Märkte, sondern durch die sich mehrenden Drohungen im eigenen Lager. Immerhin pendelte sich das Pfund am Montag wieder etwas ein, ließ der Druck auf die Staatsanleihen nach.

Das bedeute nun aber nicht, dass die Krise vorbei sei, warnte am Montag Londons renommiertes Institut für Finanzstudien (IFS). Wenn die Regierung den Höchststeuersatz erst einmal beibehalte, reduziere sie damit nur ihr Steuersenkungspaket von 45 auf 43 Milliarden Pfund. Im Grunde sei es nur um eine symbolische Aktion, um eine politische Geste gegangen. Übrig bleibe eine enorme Summe ungedeckter Schulden für den Staat.