Zum Hauptinhalt springen

Kein Geld aus Brüssel: Für Ungarn wird es ernst

Von WZ-Korrespondent Andreas Lieb

Politik
"Der Mechanismus kommt dort zur Anwendung, wo die Nutzung europäischer Steuergelder gefährdet ist", sagt EU-Kommissar Johannes Hahn.
© reuters / Herman

Heute trifft die EU-Kommission ihre Entscheidung über Milliardensperren für Ungarn.


Heute Mittag werden gleich drei EU-Kommissare das Ergebnis einer Abstimmung im Kollegium bekanntgeben: Vizepräsident Valdis Dombrovskis (Wirtschaft und Kapital), Didier Reynders (Justiz und Rechtsstaatlichkeit) und Johannes Hahn (Budget). Der Österreicher Hahn wollte am Dienstag vor Journalisten dem Ergebnis nicht vorgreifen und hielt sich über den voraussichtlichen Ausgang des Votums bedeckt, von hohen EU-Diplomaten ist aber schon seit Tagen zu hören, dass es für die Ungarn schlecht ausschaut - Orban habe den Bogen überspannt. Die Rechnung dafür ist hoch: Insgesamt stehen 13,3 Milliarden Euro zur Disposition.

Seit vielen Jahren beklagt die Europäische Union massive Rechtsstaatsverstöße in Ungarn und führt zahlreiche Verdachtsmomente auf Korruption an. "Wir geben am Mittwoch unsere finale Meinung ab zur Umsetzung des Konditionalitätsmechanismus in Ungarn. Dieses und andere Instrumente dienen nicht zur Bestrafung eines Landes, es geht darum, eine problematische Situation zu verbessern", sagte Hahn. Der Mechanismus komme dort zur Anwendung, wo die korrekte Nutzung der europäischen Steuergelder gefährdet sei.

Einlenken "sehr spät"

In diesem Punkt würde sich der "ungarische vom polnischen Fall unterscheiden, wo wir wiederholt einen Mangel an Unabhängigkeit der Justiz festgestellt haben", was aber nicht in Zusammenhang mit der Verwendung der EU-Gelder stehe, sagte Hahn. In Ungarn würde etwa bei mehr als 50 Prozent der öffentlichen Ausschreibungen nur ein einziger Anbieter auftauchen, im EU-Schnitt liege der Wert bei rund zehn Prozent. Das Rechtsinstrument ist das einzige, das einen präzisen Zeitplan von neun Monaten als Grundlage habe - das Ende dieser Zeit ist nun gekommen.

Laut Hahn hatte es zuletzt intensive Verhandlungen mit den Ungarn gegeben, die Vorwürfe entkräften wollen, vieles davon sei aber sehr spät passiert. Die Kommission hatte 17 relevante Punkte identifiziert, Ungarn habe sich da durchaus bewegt und einen entsprechenden Plan eingereicht, aber das reiche nicht. Die Kommission hat deshalb schon vor Wochen erklärt, dass sie 65 Prozent der wichtigsten Kohäsionsprogramme - von denen 95 Prozent durch die öffentliche Hand vergeben werden - zurückhalten könnte.

Einer von mehreren Punkten, der etwa noch offen ist, ist das Funktionieren einer ungarischen "Integritätsbehörde", die Verdachtsfälle auf Missbrauch von EU-Geldern untersuchen soll. "Wir können nur das bewerten, das bis zum Stichtag 19. November vorliegt und als Gesetz beschlossen wurde", sagte Hahn. Man könne sich nicht auf Absichtserklärungen verlassen.

Es wird brenzlig

Die neue ungarische Behörde hat mittlerweile offiziell die Arbeit aufgenommen - exakt am 19. November. Geht es bei den EU-Mitteln um rund 7,5 Milliarden Euro, ist die heutige Entscheidung aber auch mit den Mitteln aus dem Wiederaufbaufonds verknüpft, der im Falle Ungarns 5,8 Milliarden Euro schwer ist. Die Vergabe der Gelder ist an sogenannte "Milestones" gebunden, die wiederum direkt mit dem Konditionalitätsmechanismus verknüpft sind. Auch in diesem Fall wird es für die Ungarn brenzlig, denn käme es hier zu einer weiteren Verzögerung, so könnten sie bis zu 70 Prozent der Mittel völlig verlieren. Dabei geht es bei der Konditionalität, im Gegensatz zum Aufbauprogramm, nicht um direkte Geldflüsse, sondern um Zahlungsverpflichtungen.

Aus Brüsseler Kreisen ist zu hören, dass die Lösung ein formaler Kniff sein könnte: Es wird für die Zahlungen zwar ein Konto eröffnet - womit der Form genüge getan wäre -, die Zahlungen würden dann aber trotzdem erst fließen können, wenn alle Vorbehalte ausgeräumt sind und die "Mängelliste" abgearbeitet ist. Ein ähnliches Modell wurde auch im Fall Polens angewendet - bis heute sei noch kein einziger Euro nach Warschau geflossen.

Die Kommission wird auf ihrer harten Linie durch die Haltung des EU-Parlaments unterstützt, das erst vor wenigen Tagen in Straßburg mehrheitlich eine Resolution verabschiedete, in der man das Zurückhalten der Gelder guthieß und die Ungarn aufforderte, die nötigen Reformen umzusetzen. "Die EU muss aufhören, als Bankomat eines Autokraten herzuhalten", formulierte es die SPÖ-EU-Abgeordnete Theresa Muigg. "Die EU-Mittel dürfen erst freigeben werden, wenn die Bedingungen dafür erfüllt sind", forderte der ÖVP-EU-Abgeordnete Lukas Mandl. "Die Ungarinnen und Ungarn verdienen wie alle EU-Bürgerinnen und -Bürger rechtsstaatliche Verhältnisse."

Der Ball liegt beim Rat

Sollte also heute die Kommission die allgemein erwartete Entscheidung treffen, liegt der Ball beim Rat, also bei den EU-Ländern. Sie beraten darüber am 6. Dezember. Für die Mittelkürzung ist eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsländer nötig, also mindestens 15 Staaten, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen.

Die Entscheidung wird mit Spannung erwartet: Zum einen, weil daran zu erkennen ist, wer sich auf Orbans Seite schlägt; viele hatten erwartet, dass etwa die neue italienische Regierung gegen das Einfrieren stimmt, allerdings gilt das inzwischen längst nicht mehr als sicher. Zum anderen hat Ungarn die breite Unterstützung der Visegrad-Partner wegen der Haltung zu Russland längst verspielt.

Premier Viktor Orban hat aber immer noch Trümpfe in der Hand - etwa bei Entscheidungen, die Einstimmigkeit verlangen, wie die Milliardenhilfen für die Ukraine oder weiteren Sanktionspakete, ebenso bei der Nato-Erweiterung um Schweden und Finnland -, allerdings war er im Europäischen Rat zuletzt immer wieder isoliert und ist dafür bekannt, dass er auch durchaus zum Einlenken bereit ist, wenn er einen Nutzen darin sieht.