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AfD-Aufstieg im Sog der Krisen

Von Alexander Dworzak

Politik

Von der Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition profitiert die AfD - insbesondere im Osten Deutschlands.


Ohne Krisen würde es die Alternative für Deutschland (AfD) nicht geben. Entstanden ist sie auch als Reaktion auf die Bankenkrise. Der Durchbruch gelang ihr in der Flüchtlingskrise. In der Corona-Krise befürwortet die Partei das "sofortige Ende aller Maßnahmen, die zur angeblichen Eindämmung" des Virus dienen", sagte der stellvertretende Parteichef Stephan Brandner diese Woche. Noch wichtiger als Covid sind für die AfD die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, die steigenden Energiepreise und die hohe Inflation. In den Worten des ehemaligen AfD-Pressesprechers Christian Lüth: "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD."

Dass Russland einen illegalen Angriffskrieg in der Ukraine führt, bestreiten AfD-Politiker zwar nicht. Aber sie lehnen die Russland-Sanktionen ab - wie bereits jene Strafmaßnahmen, die nach Annexion der Krim und der Besetzung ostukrainischer Gebiete 2014 beschlossen wurden. Auch nach den Explosionen bei den Pipelines Nord Stream 2 im September fordert die AfD, dass durch die nie in Betrieb gegangene zweite Röhre Gas von Russland nach Deutschland strömen müsse. Und ob Russland in der Ukraine Kriegsverbrechen begeht, hielt AfD-Vorsitzender Tino Chrupalla zuletzt im Interview mit der "Welt" für nicht aufgeklärt.

Alleinstellung dank Schwäche der Linken

Der AfD-Kurs gegenüber Russland und Machthaber Wladimir Putin findet Zuspruch. 15 Prozent der Deutschen würden die Nationalpopulisten derzeit wählen. Das sind nur drei Prozentpunkte weniger, als für SPD und Grüne ausgewiesen wird. Klar in Führung liegt die konservative Union.

Der AfD kommt zugute, dass die anderen traditionellen Moskau-Versteher von der Linkspartei derzeit vor allem mit Flügelkämpfen auffallen. Die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP sowie CDU und CSU debattieren höchstens darüber, wie streng die Sanktionen gegenüber Russland und wie umfangreich die militärische Hilfe für die Ukraine sein soll. Die AfD besitzt somit, wovon Parteien träumen: ein Alleinstellungsmerkmal.

Dass die Ampelkoalition mit den Sanktionen gegen Russland - die alle EU-Staaten gemeinsam beschlossen haben - angeblich primär die eigene Bevölkerung schädigt denn Putin unter Druck setzt, fällt vor allem im Osten der Bundesrepublik auf fruchtbaren Boden. In den sechs Bundesländern mit Ausnahme des Sonderfalls Berlin sind mindestens 71 Prozent der Bürger mit Rot-Grün-Gelb unzufrieden; in Sachsen sind es sogar acht von zehn. Unter den West-Bundesländern hat Bayern mit 65 Prozent die höchste Rate Unzufriedener, im Bundessschnitt sind es 61 Prozent, ergab eine Umfrage für den "Spiegel".

Diese Unzufriedenheit drückt sich auch in Wahlergebnissen aus. Am bisher schwächsten schnitt die AfD im Nordwesten ab. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Oktober steigerte sie sich von zuvor 6,2 auf fast 11 Prozent. Über derartige Ergebnisse können die AfD-Landesverbände im Osten - wieder mit Ausnahme Berlins - allerdings nur milde lächeln. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erzielte die AfD in den vergangenen Jahren mehr als 20 Prozent.

Im Osten verfangenen auch die Aufrufe der AfD zu Protestmärschen gegen die Regierung. Speziell ist zudem die früh begonnene Unterwanderung der Landesverbände durch Rechtsextreme. Bekanntester Vertreter ist der Thüringer Vorsitzende Björn Höcke, der Kreml-Herrscher Putin lobte. Das von Höcke einst mitinitiierte Rechtsaußen-Sammelbecken "Der Flügel" wurde zwar aufgelöst. Die AfD hat sich aber derart radikalisiert, dass die gesamte Partei im März vom Verwaltungsgericht Köln zum sogenannten Verdachtsfall erklärt wurde; somit unter bestimmten Voraussetzungen vom Verfassungsschutz mit Geheimdienst-Methoden überwacht werden darf. Schlagzeilen machte zuletzt die Verhaftung der früheren AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann. Sie soll an Umsturzplänen der sogenannten Reichsbürger beteiligt gewesen sein.

Unzufriedenheit auch mit der Demokratie

Die AfD fühlt sich als Opfer der Staatsorgane, in Russland sind die Bürger tatsächlich einer Staatsmacht ausgeliefert. Seit dem Überfall auf die Ukraine wurden dort die Restriktionen weiter verschärft, wer gegen den Krieg demonstriert, riskiert bis zu 15 Jahre Haft.

Für AfD-Anhänger lautet die Konsequenz: Bloß nicht mit Putin anlegen. Fast drei Viertel der Befragten - ebensoviele wie bei Sympathisanten der Linken - plädieren für zurückhaltende militärische Unterstützung der Ukraine, "um Russland nicht zu provozieren". Im Bundesschnitt vertreten 47 Prozent diese Meinung, ergab eine Umfrage im Auftrag der ARD. Die Sanktionen gegen Russland gehen einem Viertel der Deutschen zu weit. Unter AfD-Anhängern sind es 63 Prozent.

Und trotz - beziehungsweise gerade aufgrund - der sowjetischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Errichtung des Bruderstaates DDR: Ein Viertel der Ostdeutschen fühlt sich Russland kulturell näher als den Vereinigten Staaten. Das sind dreieinhalb Mal so viele wie im Westen der Bundesrepublik. Umgekehrt empfinden 42 Prozent der Westdeutschen mehr Nähe gegenüber den USA, knapp doppelt so viele wie in Ostdeutschland. Für die relative Mehrheit der befragten Personen lautet die Antwort, ob die Nähe zu den Vereinigten Staaten oder Russland größer ist, jedoch: weder noch.

Der Osten Deutschlands ist auch deswegen ein guter Boden für die AfD, weil dort die Unzufriedenheit mit der Demokratie wesentlich höher als im Westen ist. 91 Prozent der Westdeutschen halten die Demokratie für eine gute Regierungsform, aber nur 75 Prozent der Ostdeutschen.