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In den Fängen der Lobbying-Industrie

Von Michael Schmölzer

Politik

Wo hört Interessensvertretung auf, wo beginnt Korruption? Die EU will ein Gremium zur Kontrolle einrichten.


Zuletzt ging alles kurz und schmerzlos: Am Dienstag sprachen sich die Abgeordneten des EU-Parlaments mit einer einzigen Gegenstimme dafür aus, Eva Kaili ihres Postens als Vizepräsidentin zu entheben. Der Akt hatte allerdings nur noch formale Bedeutung. Schon am Wochenende war die frühere TV-Moderatorin, die einen von 14 Vizepräsidenten-Posten innehatte, von ihren Aufgaben entbunden worden. Der politische Absturz Kailis ist total, sie wurde auch aus der griechischen Pasok-Partei ausgeschlossen und aus den Reihen der EU-Sozialdemokraten verbannt.

Zeitgleich laufen Ermittlungen auf Hochtouren: In Brüssel durchsuchen die Fahnder Räumlichkeiten des EU-Parlaments, in Griechenland hat die Polizei alle Vermögenswerte Kailis, ihrer Eltern, ihrer Schwester und ihres Lebenspartners einfrieren lassen. Auch in Italien fanden Razzien statt. Im Raum steht der Verdacht, dass sich die 44 Jahre alte Griechin von Katar, das derzeit die Fußball-WM ausrichtet, bestechen ließ. Sie sitzt deshalb in Untersuchungshaft.

Ein Schicksal, das ihr Freund, der ehemalige Europaabgeordnete Antonio Panzeri, teilt. Am Mittwoch soll dann feststehen, ob beide bis zum Beginn ihres Prozesses in Haft bleiben müssen.

Fragwürdige Selbstkontrolle

Der Skandal rückt jedenfalls wieder die Brüsseler Lobbying-Industrie in den Mittelpunkt. Generell stellt sich die Frage, inwieweit finanzkräftige Vertreter von Teilinteressen die europäische Demokratie bereits unterwandert haben.

Nimmt man das Geld her, das alleine US-Technikkonzerne aufwenden, kommen Zweifel auf. Google, Facebook und Microsoft geben große Summen aus, um Vorgaben zu beeinflussen oder zu verwässern. Eine Studie der Lobbywächter Corporate Europe Observatory und LobbyControl vom Vorjahr hält fest, dass die genannten Unternehmen weit mehr Geld in die Hand nehmen als etwa die berüchtigte Energie- oder die Pharmabranche. Demnach gab die Alphabet-Tochter Google 5,75 Millionen Euro für Lobbyismus aus. Facebook kam auf 5,5 Millionen und Microsoft auf 5,25 Millionen Euro. Bei Apple waren es 3,5 Millionen Euro und bei Huawei aus China 3 Millionen Euro. Amazon rangierte dahinter mit 2,75 Millionen Euro.

Der Studie zufolge investierten insgesamt 612 Unternehmen, Gruppen und Vereinigungen innerhalb eines Jahres mehr als 97 Millionen Euro in Lobbyarbeit zum Thema Digitales bei der EU. Ob und wie viel Geld in den Taschen von EU-Abgeordneten landet, ist unbekannt.

Schon seit einiger Zeit steht deshalb die Forderung im Raum, dass mögliche Korruption in EU-Organisationen von einem eigenen Gremium überwacht werden soll. Die EU-Kommission hat den Auftrag, einen entsprechenden Rahmen auszuarbeiten. Bis jetzt ist es so, dass die einzelnen Institutionen - im Fall Kaili das EU-Parlament - selbst darüber wachen, ob die hauseigenen Ethikregeln befolgt werden. Allerdings ist diese Art der Selbstkontrolle nach Ansicht von Kritikern wenig effektiv. Abseits davon wird bemängelt, dass es im EU-Parlament keine Regelungen gibt, die Whistleblower schützen. Jetzt hat sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die Etablierung einer unabhängigen Ethikstelle starkgemacht.

Begehrtes Insiderwissen

Immer wieder wird bemängelt, dass ehemalige EU-Kommissare oder Abgeordnete kurz nach ihrer Amtszeit als Lobbyisten tätig werden. Im Fokus der Kritik stand mehrfach der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger, dessen Amtszeit 2019 endete. Der Ethikausschuss der Kommission genehmigte Oettinger seitdem mehr als zehn Jobs - obwohl Kritiker Interessenkonflikte mit seiner vorherigen EU-Tätigkeit sehen.

Auch der Europäische Rechnungshof hat zuletzt strengere Kontrollen von EU-Angestellten gefordert, um Interessenskonflikte bei einem Wechsel in die Privatwirtschaft zu verhindern. So könnte etwa Insiderwissen in falsche Hände geraten. Im EU-Recht gibt es nur wenige Auflagen, die EU-Einrichtungen verpflichten, zu überprüfen, ob sich aktuelle und ehemalige Mitarbeitende an Vorschriften hielten, die den "Drehtüreffekt" vermeiden sollen. Von einem solchen spricht man dann, wenn ein Beamter in die Privatwirtschaft wechselt und dann in der neuen Funktion einen unmittelbaren Bezug zu seiner vorherigen hat.