Nach den russischen Raketenangriffen auf die Ukraine ist die Zahl der Toten in einem zerstörten Wohnhaus in der Stadt Dnipro weiter angestiegen. Die ukrainischen Behörden meldeten am Montag den Tod von 40 Menschen in dem Haus, darunter drei Kinder. Zuvor hatte der Militärgouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, von 35 Toten gesprochen. In der Nacht seien weitere Leichen aus den Trümmern geborgen worden. Der Kreml dementierte indes den Angriff.

"Die russischen Streitkräfte haben keine Angriffe auf Wohngebäude oder Einrichtungen der sozialen Infrastruktur durchgeführt. Militärische Ziele - sowohl offensichtliche als auch verdeckte - wurden angegriffen", sagte der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow am Montag. Er sprach davon, dass die Tragödie durch einen ukrainischen Gegenangriff der Luftabwehr verursacht worden sei.

Noch immer würden Dutzende Menschen vermisst, hieß es von ukrainischer Seite. Ein großer Teil des neunstöckigen Hochhauses war am Samstag nach einem Raketentreffer eingestürzt. "Die Suche nach den Menschen unter den Trümmern geht weiter", sagte Resnitschenko. In Dnipro herrschten Minusgrade, weshalb kaum noch mit Überlebenden gerechnet wurde. Der Militärgouverneur gab die Zahl der Verletzten mit 75 an. Die Rede war nun auch von 14 verletzten Kindern. Demnach überlebten mehr als 100 Menschen den Einsturz des Hauses.

Nach dem verheernden russischen Raketenangriff steht den ukrainischen Rettungskräften das Entsetzen im Gesicht. 
- © apa / reuters / Clodagh Kilcoyne / tpx images of the day

Nach dem verheernden russischen Raketenangriff steht den ukrainischen Rettungskräften das Entsetzen im Gesicht.

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Bevölkerung unter erheblichem Druck

UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte den tödlichen Angriff auf ein Wohnhaus der ostukrainischen Stadt. Guterres zufolge handle es sich "um ein weiteres Beispiel für eine mutmaßliche Verletzung des Kriegsrechts", sagte seine Sprecherin Stéphanie Tremblay am Montag. Der Angriff auf ein Wohngebäude am Samstagabend sei einer der Angriffe mit den meisten Toten in der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion gewesen, fügte sie hinzu. Die UNO-Koordinatorin für die Ukraine, Denise Brown, habe eine "Untersuchung wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen und die Strafverfolgung der Verdächtigen" gefordert, sagte Tremblay weiter.

Die wiederholten russischen Raketenangriffe auf die kritische Infrastruktur in Kiew und die Kälte setzen die ukrainische Hauptstadt nach den Worten von Bürgermeister Vitali Klitschko unter erheblichen Druck. Die Infrastruktur könne wegen der Angriffe jederzeit zusammenbrechen. Die westlichen Verbündeten müssten daher die Lieferung von Luftabwehrsystemen beschleunigen, sagt Klitschko der Nachrichtenagentur Reuters in Davos, wo er gemeinsam mit seinem Bruder Wladimir das Weltwirtschaftsforum besucht. "Wir sprechen nicht über den Zusammenbruch, aber es kann passieren ... jede Sekunde", sagt Vitali Klitschko. Denn russische Raketen könnten die kritische Infrastruktur in Kiew zerstören. Derzeit gebe es dort einen Energieausfall von 30 Prozent. "In der Ukraine ist es gerade ziemlich kalt, daher ist ein Leben ohne Strom und Heizung fast unmöglich. Die Situation ist kritisch. Wir kämpfen ums Überleben."

Aus den Trümmern gerettet wird, was noch lebt. 
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Aus den Trümmern gerettet wird, was noch lebt.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner Videoansprache am Sonntagabend mit Blick auf die Verschütteten in Dnipro, dass weiter um jeden Menschen gekämpft werde. "Und die Rettungsarbeiten werden so lange andauern, wie auch nur die geringste Chance besteht, ein Leben zu retten."

Barbarei und Brutalität

Der Raketeneinschlag in einem Wohnhaus zeigt aus Sicht der EU die russische Barbarei und Brutalität. Aktionen wie in der Stadt Dnipro seien Kriegsverbrechen und sofort einzustellen, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am Montag in Brüssel. Das barbarische Handeln Russlands bestärke die EU nur in ihrer Entschlossenheit, die Ukraine und die Menschen dort zu unterstützen, sagte er.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte Kiew am Montag einen neuen Hilfskredit über drei Milliarden Euro für Dienstag zu. Das Geld ist Teil eines insgesamt 18 Milliarden Euro umfassenden Darlehensprogramms, das im Dezember von den EU-Mitgliedstaaten für dieses Jahr vereinbart wurde.

Österreich verurteilte "Russlands gezielte Angriffe auf zivile Infrastruktur wie der auf ein Wohnhaus in Dnipro" als "verabscheuungswürdigen" Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. "Zivilisten sind keine Ziele", betonte das Außenministerium am Sonntagabend auf Twitter. "Wir verurteilen diese Gewalt auf das Schärfste und sind solidarisch mit dem ukrainischen Volk."

Ersuchen um Stromaggregate

Angesichts der kritischen Lage bat der ukrainische Botschafter in Wien, Wassyl Chymynez, auch Österreich um Hilfe. "Um die Stromversorgung wichtiger Infrastrukturobjekte in Dnipro sowie in der Oblast Dnipropetrowsk zu gewährleisten, ersuchen wir dringend um Stromaggregate", ersuchte der Diplomat am Samstagabend auf Twitter.

Der Angriff auf Dnipro war der folgenreichste von mehreren Angriffen am Samstag. Die heftigste russische Angriffswelle seit dem Jahreswechsel richtete sich erneut auch gegen die ukrainische Energieinfrastruktur. Neben Dnipropetrowsk waren unter anderem auch die Region um die Hauptstadt Kiew, das im Westen gelegene Lwiw (Lemberg) und Charkiw im Osten schwer betroffen. Es gab vielerorts Stromausfälle. (apa)