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Schwedens Achillesferse

Von Michael Schmölzer

Politik

Das nordische Land hat handfeste militärische Gründe für einen raschen Nato-Beitritt, doch die Türkei blockiert.


Mehr als zehn Mal sind Russland und Schweden im Lauf der Geschichte miteinander im Krieg gelegen. Die letzte Konfrontation ist zum Glück lange her, es krachte 1809, zur Zeit Napoleons.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine macht sich jetzt in Stockholm allerdings Verunsicherung breit, niemand weiß, was der unberechenbare russische Präsident Wladimir Putin in Zukunft plant. Schweden und sein Nachbar Finnland wollen deshalb so schnell wie möglich unter den schützenden Schirm der Nato, doch hier spießt es sich gewaltig.

Die Türkei blockiert hartnäckig den Beitritt vor allem Schwedens - offiziell deshalb, weil das Land "Terrororganisationen" wie die PKK toleriere und angesichts einer jüngsten Koran-Verbrennung Muslimen "zu wenig Respekt gezollt" werde, wie Recep Tayyip Erdogan zuletzt sagte. Der türkische Staatspräsident befindet sich bereits im Wahlkampf-Modus, im Mai sollen die Türken ein neues Staatsoberhaupt wählen. Ob danach Bewegung in Sachen Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands kommt, wird allgemein bezweifelt.

Jetzt wird nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation gesucht. Finnland kann sich seit Dienstag offiziell vorstellen, auch ohne Schweden der Nato beizutreten. Man könnte zu diesem Schritt regelrecht "gezwungen" sein, so der finnische Außenminister Pekka Haavisto.

Ein Nato-Beitritt Finnlands wäre für Schweden auf den ersten Blick militärisch ein Gewinn. Immerhin teilen Finnland und Russland eine 1.344 Kilometer lange Grenze, Schweden ist für Russland auf dem Landweg nur über Finnland oder Norwegen angreifbar - wobei Norwegen bereits Mitglied der Nato ist, bei einem Angriff würde der Bündnisfall ausgelöst. Im Fall eines Nato-Beitritts Finnlands wäre Schweden aber nur scheinbar in der komfortablen Lage, von Nato-Ländern umschlossen zu sein, denn auch Dänemark gehört dem westlichen Verteidigungsbündnis an.

Schwachstelle in der Ostsee

In den Reihen der schwedischen Militärführung weist man auf eine entscheidende Schwachstelle hin: Die schwedische Ostseeinsel Gotland ist vom 300 Kilometer entfernten russischen Kaliningrad aus mit Landungsschiffen erreichbar. Knapp vor dem Angriff auf die Ukraine im Februar des Vorjahres hat Russland drei zusätzliche derartige Schiffe in die Ostsee verlegt und auf schwedischer Seite für Alarmbereitschaft gesorgt.

In Stockholm glaubt man nicht, dass Putin unmittelbar einen Krieg mit Schweden vom Zaun brechen will. Sollte Moskau allerdings in der Zukunft eine Militäraktion gegen Estland, Lettland und Litauen - Gebiete des untergegangenen Sowjet-Imperiums - durchführen wollen, müsste zunächst Gotland eingenommen werden. Die russische Armee würde dort leistungsfähige Luftabwehrsysteme installieren, damit wäre der schwedische Luftraum für Nato-Flugzeuge auf ihrem Weg in das Baltikum geschlossen.

In der Tat kommt Gotland laut Militäranalysten eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Nato-Ostflanke zu. Mit der Einnahme der Insel hätte Russland die Möglichkeit, jede Art von Transport über die Ostsee mit Abwehrsystemen zu stoppen.

Eine schwedische und finnische Nato-Mitgliedschaft wird nach derzeitigem Stand auf sich warten lassen. Beide Länder müssen sich derzeit auf eine enge Zusammenarbeit mit dem Bündnis beschränken. So ist Schweden Teil des Host-Nation-Support-Abkommens, Nato-Truppen dürfen in dem Land operieren - und zwar nicht nur für Übungen, sondern auch in Krisenzeiten. Die Zusammenarbeit mit der Nato wird von Finnland und Schweden laufend weiter intensiviert, eine Garantie für Beistand im Angriffsfall ist das aber nicht. Die ist nur dann gewährleistet, wenn Nato-Mitglieder den Bündnisfall ausrufen.

Und so kooperieren Schweden und Finnland bilateral miteinander - und investieren in Waffen. Die Abrüstungspolitik in den Jahren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sei jedenfalls ein Fehler gewesen, heißt es in Stockholm.