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Selenskyjs schwierige Umbauarbeiten

Von WZ-Korrespondent Denis Trubetskoy

Politik

Einige Weggefährten des ukrainischen Präsidenten Selenskyj werden für ihn langsam zum Problem.


Als er im Frühjahr 2019 Präsident der Ukraine wurde, dürfte Wolodymyr Selenskyj wohl kaum das Ziel gehabt haben, die Satire-Serie "Diener des Volkes" so nah wie möglich an die Realität heranzutragen. Ähnlich wie in der Serie, in der er den Geschichtslehrer Wassyl Goloborodko spielt, den die Ukrainer plötzlich zum Staatsoberhaupt gewählt haben, setzte der heute 45-Jährige aber dennoch zu einem bedeutenden Teil auf enge Freunde und Weggefährten, etwa aus seiner Filmproduktionsfirma Kwartal 95. Beim Neuaufbau des Landes wollte der Politneuling Selenskyj in unmittelbarer Umgebung Menschen haben, denen er zu 100 Prozent vertraut.

Zahlreiche Korruptionsfälle

Schon vor dem russischen Angriff am 24. Februar war allerdings eine Entwicklung nicht zu übersehen. Immer mehr Verbündete aus Selenskyjs früherem Leben schieden aus ihren Funktionen aus oder verloren an Bedeutung. Im vergangenen Juli passierte dann schließlich etwas, das bei seinem Amtsantritt noch außerhalb jeglicher Vorstellungskraft lag: Der Präsident entließ seinen Kindheitsfreund Iwan Bakanow, den Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU, der auch seinen Wahlkampfstab geleitet hat. Zu bohrend waren die Fragen an den SBU, dessen Unterwanderung durch russische Agenten auch zum schnellen Verlust von Cherson in den ersten Kriegswochen geführt haben soll. Bakanows eigene Beteiligung ist zwar so gut wie ausgeschlossen, doch als Leiter des Geheimdienstes hat er offensichtlich versagt.

Mit dem großen Umbau im Team um den Präsidenten, der sich in diesen Tagen vor dem Hintergrund der jüngsten Korruptionsvorwürfe wegen überteuerter Lebensmittelkäufe für Soldaten vollzieht, müssen nun auch die letzten Weggefährten gehen, die dem früheren Schauspieler und Fernsehmanager zum Wahlsieg verholfen haben. Schon im vorigen Jahr hatten Regierungskreise gegenüber der "Ukrajinska Prawda", dem führenden Online-Medium des Landes, erklärt, dass der Umbau quasi unvermeidlich ist: Selenskyj sei im Krieg stark über sich hinausgewachsen, Teile seines Teams und der Regierung dagegen nicht.

Dies betraf nicht zuletzt den vor knapp zehn Tagen zurückgetretenen Vizechef des Präsidentenbüros Kyrylo Tymoschenko, der im Wahlkampf 2019 für Medien zuständig war und zuletzt die regionale Politik in der Präsidialverwaltung verantwortete. Tymoschenko, der in den vergangenen Monaten im Nachrichtenmarathon der ukrainischen Informationssender eingehend beleuchtet worden war, wurden letztendlich mehrere für Aufregung sorgende Medienrecherchen zum Verhängnis. So hat der 33-Jährige, der in einem luxuriösen Anwesen mit 1.200 Quadratmetern lebt, zuletzt einen von General Motors als humanitäre Hilfe gespendeten Chervolet Tahoe als Privatfahrzeug genutzt. Davor fuhr er einen Porsche Taycan, der der Firma eines Großunternehmers gehörte.

Im Zusammenhang mit Tymoschenkos Entlassung war in Kiew auch viel über die Rolle gemutmaßt worden, die Andrij Jermak dabei gespielt hat. Tymoschenkos Beziehung zum mächtigen Chef des Präsidentenbüros soll angespannt gewesen sein, gleichzeitig wird Selenskyjs aktuell engstem Verbündeten - wenn auch ohne konkrete Beweise - immer wieder nachgesagt, er wolle frühere Weggefährten aus dem Weg räumen, um seine eigene Machtposition zu stärken.

Wahrscheinlicher als eine gezielte Kampagne Jermaks, der als sehr effektiver Manager gilt, ist aber, dass Tymoschenko nicht nur wegen der Korruptionsvorwürfe aus Sicht des Präsidenten untragbar geworden ist, sondern auch einfach nicht mehr ins Personalkonzept gepasst hat. So versucht die Regierung in Kiew, aktuell ganz offensichtlich in allen Bereichen Strukturen zu optimieren, während Russland sich auf einen womöglich jahrelangen Krieg vorbereitet.

Dass Selenskyj sich von ehemaligen Weggefährten abwendet, haben nicht zuletzt die Durchsuchungen gezeigt, die diese Wochen beim Oligarchen Ihor Kolomojsky wegen des Verdachts der Geldwäsche im vor kurzem nationalisierten Ölunternehmens Ukrnafta durchgeführt wurden.

Kolomojskyj, dem mit 1+1 einer der größten Fernsehsender der Ukraine gehörte, hatte 2019 nicht nur Selenskyjs Wahlkampf unterstützt, sondern auch danach noch versucht, seinen Einfluss geltend zu machen. So soll eine kleine Gruppe der Abgeordneten innerhalb der Präsidentenfraktion "Diener des Volkes" Verbindungen zu Kolomojskyj unterhalten haben.

Der Oligarch, gegen den in den USA wegen Geldwäsche ermittelt wird, ist Medienberichten zufolge aber bereits im vergangenen Jahr ausgebürgert worden. Eine Bestätigung dafür gab es mit Verweis auf den Datenschutz bisher nicht, dementiert wurden die Berichte aber auch nicht. Das bedeutet in der Praxis, dass Kolomojskyj die Ukraine praktisch nicht verlassen kann und gleichzeitig jederzeit von Selenskyj an die USA ausgeliefert werden könnte.

Resnikow vor der Ablöse?

Wie ernst es Selenskyj mit der Aufarbeitung der Korruption meint, wird sich aber möglicherweise schon in den kommenden Tagen und Wochen zeigen. So scheint es mittlerweile auch nicht mehr ausgeschlossen, dass nach der Entlassung mehrer Vizeminister auch Verteidigungsminister Oleksij Resnikow wegen der Affäre um die überhöhten Einkaufpreise für Lebensmittel den Hut nehmen muss. Eine persönliche Verwicklung des bisher sehr beliebten Politikers ist zwar höchst unwahrscheinlich, doch die fehlende Transparenz bei der Aufklärung innerhalb des Ministeriums hat in der ukrainischen Zivilgesellschaft massive Unzufriedenheit ausgelöst.