Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seinen ersten persönlichen Auftritt bei einem EU-Gipfel in Brüssel zu einem erneuten Appell zu mehr Waffenlieferungen genutzt. Die Ukraine brauche "wirklich Munition, moderne Panzer, Langstreckenraketen und Kampfflugzeuge", sagte Selenskyj am Donnerstag in seiner Rede vor den Gipfelteilnehmern. "Wir müssen schneller sein als der Angreifer", ermahnte er die Mitgliedstaaten.

"Diese Geschichte kann sich in anderen Orten Europas wiederholen", sagte Selenskyj. Russland habe ein ganzes Arsenal an Angriffsmöglichkeiten, erklärte er und verwies auch auf Cyber-Angriffe und gezielte Falschinformationen.

Wenn die Staats- und Regierungschefs der Ukraine "langfristige Sicherheit gewährleisten können, kann ich ihnen versichern, dass Ihre Namen in die Geschichte eingehen werden, zusammen mit denen von Robert Schuman und Jean Monnet", sagte er in Anspielung auf die Gründerväter der EU.

Dank an die Unterstützer

Während des vergangenen Jahres sei Europa stärker geworden, sagte der ukrainische Präsident, der sich erneut ausgiebig für alle bereits erhaltene Unterstützung bedankte. "Danke für die militärische Unterstützung, die Sie bereits liefern, und danke, dass Sie noch mehr tun werden", sagte er.

Es gebe einen detaillierten russischen Plan zur Störung der politischen Situation in Moldau, sagte Selenskyj weiters. Der ukrainische Geheimdienst habe entsprechende Informationen abgefangen. Das russische Dokument zeige, wer wann und wie in Moldau die demokratische Ordnung zerschlagen und die Kontrolle über das Land errichten wolle.

Über diese Informationen habe er vor kurzem mit der Präsidentin von Moldau, Maia Sandu, gesprochen. Er sagte auch, die Ukraine wisse nicht, ob Moskau tatsächlich den Befehl gegeben habe, die Pläne umzusetzen. Aber es habe auch einen ähnlichen Plan gegen die Ukraine gegeben.

Selenskyjs Teilnahme an dem Gipfel rund zwei Wochen vor dem Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar soll ein Symbol der Einheit Europas gegenüber Russland sein. Am Mittwoch hatte Selenskyj sowohl in London als auch in Paris für eine Lieferung von Kampfjets und eine schnelle EU-Mitgliedschaft geworben.

Scholz will sich einsetzen

Zum Auftakt des EU-Gipfels versicherte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, dass Deutschland sich für eine schnelle Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine einsetzen werde. "Deutschland leistet einen ganz zentralen Beitrag dazu, dass wir eine schnelle Unterstützung gewährleisten, wie auch in der Vergangenheit", sagte Scholz. Man bemühe sich nun darum, dass andere Staaten, die eine Beteiligung an dieser Unterstützung angemeldet hätten, "diesem Fingeraufzeigen auch faktisch Taten folgen lassen", sagte Scholz.

Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas forderte eine schnellere und umfassendere Waffenproduktion zur Unterstützung der Ukraine. "Wir sollten der europäischen Rüstungsindustrie ein klares Signal geben, mehr zu produzieren", sagte Kallas. Sie schlug vor, dass ein ähnlicher Mechanismus wie bei der Impfstoffbeschaffung während der Corona-Pandemie angewendet werden sollte. "Das könnte den Prozess beschleunigen, so dass die Ukraine die Militärhilfe in Monaten und nicht in Jahren erhält", betonte sie. Bei der Impfstoffbeschaffung hatten die EU-Länder Geld zur Verfügung gestellt und die EU-Kommission im Namen der Mitgliedstaaten Impfstoff beschafft.

Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer plädiert für die Errichtung von Grenzzäunen. Nicht alle Staatschefs wollen ihm folgen. 
- © apa / BKA / Florian Schrötter

Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer plädiert für die Errichtung von Grenzzäunen. Nicht alle Staatschefs wollen ihm folgen.

- © apa / BKA / Florian Schrötter

Uneinigkeit bei Grenzzäunen

Uneinig zeigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs zur Forderung nach EU-finanzierten Grenzzäunen, die Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erhoben hatte. Es müssten "Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Ob dann die einen dazu Zaun sagen, die anderen technische Infrastruktur - entscheidend ist, dass Bulgarien geholfen wird", sagte Nehammer vor dem EU-Sondergipfel.

Keine Zustimmung erntete er dafür beim luxemburgischen Premier Xavier Bettel. "Es wäre eine Schande, wenn eine Mauer in Europa gebaut würde mit den europäischen Sternen drauf", sagte Bettel. Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis betonte hingegen, er sei "absolut" für EU-finanzierte Zäune. "Es ist nicht logisch, dass die EU Technologie, Drohnen und Überwachung zahlt, aber nicht die Zäune selbst."

Italiens Regierungschefin Georgia Meloni sagte auf die Frage nach Nehammers Forderung von zwei Milliarden Euro für den bulgarisch-türkischen Grenzzaun. "Man braucht verschiedene Instrumente je nach den unterschiedlichen Grenzen." Sie setze sich für die südliche Grenze ein. "Europa muss seine Außengrenzen kontrollieren." Sie stimme allem zu, was dabei helfe, die illegale Migration zu kontrollieren.

Rechtlicher Rahmen eingefordert

Litauens Präsident Gitanas Nauseda forderte: "Wir brauchen nicht nur materielle Zäune sondern auch einen rechtlichen Rahmen." Dieser Rechtsrahmen müsse der EU helfen, auch gegen die Instrumentalisierung von illegaler Migration vorzugehen. Litauen habe unter dem Zustrom illegaler Migranten aus Belarus (Weißrussland) gelitten, habe aber mittlerweile einen rund 480 Kilometer langen Zaun selbst gebaut, "wir haben das gut hinbekommen". Es brauche auch mehr "strategische Kommunikation" in Drittstaaten, um potenzielle Migranten von der Reise in die EU abzuhalten.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich zur Frage nach Grenzzäunen zurückhaltend. Es gäbe in der Gipfelerklärung eine gute gemeinsame Formulierung, sagte er. Darin ist von der Mobilisierung von EU-Fonds zur Verstärkung von Kapazitäten für die Grenzkontrolle und Infrastruktur sowie zur Überwachung die Rede, nicht aber von Zäunen. (apa/mhh/ths/hel)