Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seinen ersten persönlichen Auftritt bei einem EU-Gipfel in Brüssel zu einem erneuten Appell zu mehr Waffenlieferungen genutzt. Er habe gehört, dass man der Ukraine Waffen zukommen lasse, "auch die entsprechenden Flugzeuge", sagte Selenskyj nach Beratungen beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Beim slowakischen Premier Eduard Heger hatte er offenbar Erfolg. Dieser stellte die Lieferung von MiG-29-Flugzeugen in Aussicht.

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron schließt Kampfjet-Lieferungen an die Ukraine nicht aus, auch wenn diese "auf keinen Fall in den kommenden Wochen" erfolgen dürften. Grund seien unter anderem notwendige Vorlaufzeiten und Ausbildungserfordernisse, sagte er Freitagfrüh nach Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel, an dem auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilgenommen hatte.

Macron betonte nach Gesprächen mit den Staats- und Regierungschefs der EU, dass Kampfjets nicht das seien, was die Ukraine gerade im Krieg gegen den Angreifer Russland benötige. Wichtiger sei beispielsweise zusätzliche Artillerie, sagte er. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz entgegnete bei einer Pressekonferenz nach dem Gipfel auf die Frage, ob es doch eine Bewegung hin zu Kampfjet-Lieferungen an die Ukraine gebe, nur knapp: "Das war hier kein Gesprächsthema."

Pilotenausbildung

Sein Besuch in London habe zu Ergebnissen geführt, sagte Selenskyj. Die Ausbildung von Piloten sei ein wichtiger Schritt, um Kampfjets zu bekommen. Es gebe zudem positive Einigungen, die nicht öffentlich kommuniziert würden, um Russland nicht zu informieren. Die Ukraine brauche "wirklich Munition, moderne Panzer, Langstreckenraketen und Kampfflugzeuge", sagte Selenskyj zuvor am Donnerstag in seiner Rede vor den Gipfelteilnehmern. "Wir müssen schneller sein als der Angreifer", ermahnte er die Mitgliedstaaten. "Diese Geschichte kann sich in anderen Orten Europas wiederholen", sagte Selenskyj. Russland habe ein ganzes Arsenal an Angriffsmöglichkeiten, erklärte er und verwies auch auf Cyber-Angriffe und gezielte Falschinformationen.

Slowakei will MiG-29 liefern

Selenskyj traf mehrere EU-Gipfelteilnehmer zu bilateralen Gesprächen. Heger bat er um die Lieferung von Kampfflugzeugen des sowjetischen Typs MiG-29. Der slowakische Ministerpräsident sagte daraufhin zu, "an der Erfüllung dieses Wunsches zu arbeiten", wie eine vom Regierungsamt in Bratislava verbreitete Videoaufzeichnung des Gesprächs zeigt. "Es ist im Interesse der slowakischen und der europäischen Sicherheit, Ihnen zu helfen", antwortete Heger dem ukrainischen Präsidenten am Rande des EU-Gipfels in Brüssel auf dessen Wunsch. Der slowakischen Nachrichtenagentur TASR sagte Heger, dass der Zeitpunkt der Übergabe offen sei und verwies auf den Wunsch Bratislavas, die Lieferung mit EU-Mitteln zu finanzieren.

Selenskyj rief die EU-Staats- und Regierungschefs zu weiteren Sanktionen gegen Russland auf. Insbesondere Sanktionen gegen die Raketenindustrie, den Drohnen- sowie den IT-Sektor müssten umgesetzt werden, sagte der ukrainische Präsident. Vom Gipfel zeigte er sich ermutigt und dankbar, "dass die EU an unserer Seite steht". "Die Ukraine wird Mitglied der Europäischen Union werden", sagte Selenskyj.

Wenn die Staats- und Regierungschefs der Ukraine "langfristige Sicherheit gewährleisten können, kann ich ihnen versichern, dass Ihre Namen in die Geschichte eingehen werden, zusammen mit denen von Robert Schuman und Jean Monnet", sagte er in Anspielung auf die Gründerväter der EU. Während des vergangenen Jahres sei Europa stärker geworden, sagte der ukrainische Präsident, der sich erneut ausgiebig für alle bereits erhaltene Unterstützung bedankte. "Danke für die militärische Unterstützung, die Sie bereits liefern, und danke, dass Sie noch mehr tun werden", sagte er.

Selenskyj traf im Rahmen der bilateralen Gespräche auch auf Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) - gemeinsam in einer Gruppe mit den Staats- und Regierungschef aus Ungarn, Slowenien, Griechenland, Bulgarien und Zypern.

Von der Leyen: Kein starrer Zeitplan für Ukraine-Integration

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen attestiert der Ukraine indes "beeindruckende" Fortschritte auf dem Weg zur europäischen Integration. "Es gibt keinen starren Zeitplan, es ist ein leistungsabhängiger Prozess", sagt von der Leyen auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj und EU-Ratspräsident Charles Michel. Die EU-Kommission arbeite sehr eng mit der ukrainischen Regierung zusammen, so von der Leyen. Das große Ziel sei es, die Fortschritte der Ukraine für den im Herbst anstehenden Erweiterungsbericht aufzuzeigen. Die Ukraine hatte von der EU im Juni den Status als Beitrittskandidat erhalten.

Michel plädierte für eine Fortsetzung der maximalen Unterstützung der Ukraine. "Wir wissen, dass die kommenden Wochen und Monate von entscheidender Bedeutung sein werden", sagte er. "Wir müssen die Augen offenhalten, wir müssen weiter das maximale Niveau von Unterstützung zur Verfügung stellen." Selenskyj habe der EU genau gesagt, was aktuell benötigt werde: "Artillerie, Munition, Verteidigungssysteme...", betonte der EU-Ratspräsident.

Scholz: "Das läuft"

Zum Auftakt des EU-Gipfels versicherte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, dass Deutschland sich für eine schnelle Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine einsetzen werde. Deutschland bemühe sich, die Strukturen für den Einsatz der Kampfpanzer zu schaffen und kümmere sich um Training, Ersatzteile und Munition. "Mein Eindruck ist: Das läuft", fügt er auf die Frage hinzu, ob Deutschland die eigene Zusage einhalte, 14 Leopard 2A6 Kampfpanzer bis Ende März zu liefern.

Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas forderte eine schnellere und umfassendere Waffenproduktion zur Unterstützung der Ukraine. Sie schlug vor, dass ein ähnlicher Mechanismus wie bei der Impfstoffbeschaffung während der Corona-Pandemie angewendet werden sollte. Bei der Impfstoffbeschaffung hatten die EU-Länder Geld zur Verfügung gestellt und die EU-Kommission im Namen der Mitgliedstaaten Impfstoff beschafft. (apa, dpa, afp, reuters)