Bachmut. Mit heulender Sirene rast ein Krankenwagen zu einer Sammelstelle für verwundete ukrainische Soldaten außerhalb von Bachmut. Minen und Granaten haben ihnen ganze Körperteile weggerissen. "Es ist wie in Verdun da draußen", sagt der Sanitäter Iwan und vergleicht den Kampf um die ostukrainische Stadt mit der Schlacht zwischen Deutschland und Frankreich im Ersten Weltkrieg. Wie damals sind auch die Gefechte in Bachmut lang, blutig und aussichtslos.

Seit sieben Monaten stehen sich hier ukrainische und russische Truppen gegenüber, es ist die längste Konfrontation seit Beginn des Krieges vor einem Jahr. Eine Entscheidung zum Jahrestag am 24. Februar wäre nur symbolisch. Längst liegt die Stadt in Schutt und Asche. Dennoch verstärken beide Seiten ihre Truppen in Bachmut, um das Patt zu beenden. Moskau will nach vielen Rückschlägen seinen ersten bedeutenden Sieg erringen, Kiew ist entschlossen, die Stellung zu halten.

"Das ist ein klassisches Problem wie im Ersten Weltkrieg", sagt Mark Cancian von der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies. "Wenn die Russen dort angreifen, haben die Ukrainer keine andere Wahl, als die Stadt zu verteidigen." Obwohl ein Sieg "in militärischer und strategischer Hinsicht nichts bedeuten würde".

"Wir werden so lange um Bachmut kämpfen, wie wir können", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang des Monats vor Vertretern der EU in Kiew und forderte erneut mehr und schnellere Waffenlieferungen.

Die ukrainischen Soldaten an der Front beklagen den Mangel an Waffen und Munition. "Der Feind hat einen enormen Vorteil bei der Artillerie", sagte Juri Kryschberskyj, ein 37-jähriger Offizier, Ende Jänner der Nachrichtenagentur AFP. Binnen einer halben Stunde würden oft 40 Granaten vorbeifliegen, schilderte er die Situation im Dorf Wasjukiwka nördlich von Bachmut.

Ein Unteroffizier mit Kampfnamen Alkor sagte, die russischen Truppen seien auch von der Zahl her überlegen: "Wir schießen und schießen und schießen, aber nach fünf Minuten kommen 20 weitere Männer auf uns zu."

"Sie haben nicht einmal ihre Verwundeten mitgenommen"

Damals, Ende Jänner, lagen ein Dutzend Leichen, mutmaßlich russische Söldner der berüchtigten Wagner-Truppe, zwischen Granaten auf dem gefrorenen Boden. "Sie haben nicht einmal ihre Verwundeten mitgenommen und die starben dann dort auf dem Feld", sagte ein ukrainischer Soldat namens Wladislaw.

Der russischen Armee und der Gruppe Wagner wird immer wieder vorgeworfen, schlecht vorbereitete Rekruten als "Kanonenfutter" einzusetzen. Weder Kiew noch Moskau teilen mit, wie viele Soldaten sie verloren haben, beide Seiten bezeichnen jedoch die Schlacht um Bachmut als die blutigste des Krieges.

Überall brennen Häuser, Granatsplitter liegen herum, der Schnee ist blutbefleckt. Offiziellen Angaben zufolge sind mehr als die Hälfte der Gebäude zerstört. In der Stadt, die einst für ihren Sekt und ihre Salzminen bekannt war, harren noch etwa 6.500 der ursprünglich 70.000 Einwohner aus. Über den Fluss führt statt einer Brücke nur noch ein Steg aus Brettern und Reifen.

Natalia Schewtschenko muss ihn jeden Tag auf der Suche nach Trinkwasser überqueren. Fließendes Wasser, Gas, Strom oder Handyempfang gibt es schon lange nicht mehr. "Ich lebe im Keller. Wenn ich rausgehe, bin ich wie ein Maulwurf, meine Augen müssen sich erst an das Licht gewöhnen", sagt sie.

Natalia Jewtutschenko versuchte zweimal, Bachmut zu verlassen. Beim ersten Mal wurde ihr 16-jähriger Sohn zusammen mit 60 anderen Menschen beim russischen Angriff auf den nahe gelegenen Bahnhof von Kramatorsk getötet, da kehrte Jewtutschenko um. Beim zweiten Anlauf wurde sie in einen Verkehrsunfall verwickelt.

Die Soldaten in den Schützengräben am Stadtrand versuchen unterdessen, sich an den gespendeten Kerzen zu wärmen und bereiten sich auf eine neue russische Offensive vor. Etwa 50 Kilometer weiter nordwestlich liegt einer von ihnen in der gefrorenen Erde begraben. Der 28-jährige Oleksandr Korowny, ein Mitglied des Asow-Bataillons, ist bei Bachmut gefallen. Ein Freund, Oleksij Storosch, zeigt unter dem grauen Jännerhimmel auf die nahe gelegene Gedenkstätte des Zweiten Weltkriegs. "Die Geschichte wiederholt sich", sagt er. "Wozu ist das alles gut?" (afp)