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Verwirren, verunsichern, destabilisieren

Von Walter Hämmerle

Politik
© adobe stock / tujuh17belas

Gezielte Desinformation boomt, Russland ist ihr Meister. Bestes Gegenmittel: unabhängiger Journalismus.


Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer": Diese Erkenntnis ist so alt, dass sogar Aischylos, der früheste der griechischen Tragödiendichter, als Urheber dieses Zitats vermutet wird. So gesehen bewegte sich Josep Borrell, der Außenbeauftragte der EU, auf sicherem Boden, als er vergangene Woche anlässlich einer Konferenz zum Thema "ausländische Manipulationen von Informationen" in Brüssel mit Blick auf den russischen Krieg gegen die Ukraine erklärte: "Dieser Krieg wird nicht nur von Soldaten auf dem Schlachtfeld geführt, sondern auch auf der Ebene von Informationen." Und es wäre nicht die EU, wenn ihre Bürokratie nicht auch für diese Herausforderung ein eigenes Acronym erfunden hätte: FIMI steht für "Foreign Information Manipulation and Interference" und soll die Bedrohungen für Europa in diesem Bereich analysieren.

Fake News, gut getarnt

Hinter der russischen Desinformation steht ein massiver Apparat, der erhebliche Aufwand treibt, um die öffentlichen Debatten in den verschiedenen europäischen Staaten nach den Interessen des Kreml zu beeinflussen. Wer wissen will, wie das praktisch vor sich geht, muss nur den Begriff "Newsfront" auf Google eingeben. Gleich der erste Treffer leitet zu einer deutschsprachigen Website weiter (das Portal verfügt auch über eine ungarische, spanische, englische, georgische, serbische, slowenische, russische und französische Ausgabe; die Auswahl der Länder und Sprachen ist für sich genommen schon wieder interessant). Die hier von einem Standort auf der vom Kreml annektierten Krim präsentierten "Nachrichten" sind eine Mischung aus faktisch richtigen Berichten, die jedoch in einem gezielt aufbereiteten Umfeld platziert sind, in dem sich auch schlicht erfundene News zuhauf finden, wo erfundene Experten eines imaginierten Thinktanks (dessen Name sich aber an bestehende seriöse Institute anlehnt) erfundene Analysen breittreten.

Dann gibt es da eine kleine Armada an Einzelkämpfern, die mutmaßlich finanziell üppig über Kreml-Kanäle unterstützt werden. Zum Beispiel Thomas Röper, ein deutscher Autor und Blogger, der in St. Petersburg lebt und vornehmlich Verschwörungstheorien und zweifelsfreie Falschnachrichten in Umlauf bringt, die zufälligerweise ganz hervorragend in das Opfer-Narrativ passen, das Wladimir Putin von seinem Land erzählt. Unter anti-spiegel.ru (man beachte die Kennung ".ru", die für Russland steht; ungewöhnliche Kennungen sind häufig ein Hinweis auf Fake-Seiten) wettert Röper gegen "Systemmedien" und "Lügenpresse", wobei, wie der Name seiner Website schon sagt, dass das deutsche Magazin "Der Spiegel" sein bevorzugtes Feindbild darstellt. Dass sich die Desinformation dabei am echten Layout anlehnt, ja dieses mitunter sogar fast komplett kopiert, ist eine weitere wirksame Methode mit der Absicht, nichtsahnende Nutzer in die Irre zu führen.

Desinformation der Marke Röper ist vergleichsweise leicht zu dechiffrieren; schwieriger, weil anspruchsvoller sind Strategien, bei denen faktisch richtige Informationen, echte Experten oder angesehene Journalisten mit ihren Aussagen in ein gezielt aufbereitetes Nachrichtenumfeld eingebettet werden. Seymour Hersh etwa, 1937 in Chicago geboren, wurde zur Reporter-Legende, als er die Massaker der US-Armee von My Lai während des Vietnamkriegs aufdeckte; noch bis in seine hohen 70er publizierte er für das angesehene Magazin "The New Yorker". Als Hersh kürzlich auf seiner eigenen Plattform behauptete, der Anschlag auf die "Nord Stream 2"-Pipeline von 2022, die russisches Erdöl nach Deutschland liefern sollte, sei von US-Präsident Joe Biden angeordnet worden, war das für die russische Seite und deren Verbündete ein gefundenes Fressen. Konkrete Beweise oder auch nur Indizien legte Hersh nicht vor und die unzweideutigen Dementis von offiziellen Stellen der USA ließen ihn nicht von seiner Behauptung abkommen.

Was wirkt dagegen?

Hier spielt mit hinein, dass nicht nur Russland, sondern eben auch den USA in weiten Teilen der Welt, darunter auch in Europa, ein durchaus verfestigtes Misstrauen entgegenschlägt. Während Washington für die einen als Befreier, Kämpfer für Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft gefeiert wird, sehen andere vor allem deren Unterstützung rechtsgerichteter Diktatoren sowie Massaker in Vietnam und Folter im Irak.

Was die Desinformation angeht, so potenzieren die neuesten Technologien die Möglichkeiten. Das sind zum einen die sozialen Medien, mit deren Hilfe die Adressaten der Manipulation auch noch als Akteure instrumentalisiert werden, indem sie die Desinformation selbst verbreiten. Deepfakes, also realistisch wirkende Medieninhalte, die durch künstliche Intelligenz abgeändert und verfälscht werden, erschweren es erheblich, Täuschungen zu erkennen.

Wie gut solche Strategien der gezielten Desinformation durch fremde Mächte am Ende funktionieren, hängt von mehreren Faktoren ab. Entscheidend ist zum einen die Verfasstheit einer Medienlandschaft, des unabhängigen Journalismus. Dabei spielt auch die generelle Medienkompetenz breiter Bevölkerungsschichten eine Rolle.

Unter eeas.europa.eu finden Sie den Jahresbericht 2022 des Europäischen Auswärtigen Diensts gegen externe Desinformationskampagnen.

Zum Interview mit Lutz Güllner, dem Leiter der Abteilung Strategische Kommunikation, über die Arbeit und das Selbstverständnis seiner EU-Behörde.