Es war ein unerwarteter Rücktritt, der selbst enge Parteifreunde überraschte: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat am Donnerstag angekündigt, dass sie sowohl ihr Amt als First Minister in Schottland als auch als Vorsitzende der Scottish National Party (SNP) zurücklegen werde.

Dabei hatte sie noch vor einem Monat in einem Interview mit der BBC gemeint, dass sie genug im Tank habe und die Frage nach einem möglichen Rücktritt vehement verneint. Damit ersparte sie sich im Vorfeld ihres Abgangs Spekulationen und Gerüchte. Denn dass die Frage, ob sie diesen Job weiter machen will, sie schon länger bewegt, hat Sturgeon bei einer spontan einberufenen Pressekonferenz am Mittwoch klargemacht.

Öffentliche Wahrnehmung ist festgefahren

Ihr Rücktritt sei nämlich keine kurzfristige Entscheidung, sondern die Folge sorgfältiger Überlegungen. Schon länger stellte sie sich die Frage, ob sie noch die notwendige Energie für ihre Aufgabe – die ein Privileg, aber auch unheimlich fordernd sei – habe. Und sie sei zu dem Schluss gekommen, dass sie zwar leicht noch einige Monate durchalten und mit ihrer langjährigen poltischen Erfahrung auch die jüngsten Streitigkeiten bewältigen würde – so gab es etwa heftige Debatten um ein vom schottischen Parlament beschlossenes Transgendergesetz, das die Änderung des Geschlechtseintrags erleichtert. Aber auf lange Sicht, sagte die 52-Jährige, habe sie nicht die volle Kraft, die es für diesen Job brauche – sowie für die schottische Unabhängigkeit.

Damit kam Sturgeon vom persönlichen zum politischen Teil ihrer Rücktrittsrede. Seit ihrer Jugend hat Schottlands erste weibliche Regierungschefin der Unabhängigkeit nach eigenen Worten "mein Leben gewidmet". "Um diese zu erreichen, müssen wir Gräben in der schottischen Politik überwinden", sagte die Juristin. "Und meine Einschätzung ist, dass eine neue Führung dies besser leisten kann als ich."

Der Grund dafür sei, dass sie schon so lange in der Politik ist, dass die Meinungen über sie schon ziemlich festgefahren seien, analysierte Sturgeon. Ein frisches Gesicht an der Spitze könnte deshalb eher Wähler erreichen, die der schottischen Unabhängigkeit skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen.

Gerade im Kampf um die Unabhängigkeit hatte Sturgeon zuletzt mehrere Rückschläge hinnehmen müssen: Die konservative britische Regierung lehnt ein weiteres Referendum über diese Frage ab. Und sie hat dabei die Rückendeckung des Supreme Court erhalten: Das höchste britische Gericht hatte geurteilt, dass das schottische Regionalparlament kein Recht hat, ohne Zustimmung der britischen Regierung eine Volksabstimmung anzusetzen.

Sturgeon wollte daher die nächste britische Parlamentswahl zu einem De-facto-Referendum über die Unabhängigkeit machen. Das hat ihr aber, auch innerhalb der SNP, viel Kritik eingebracht. Denn eine derartige Fixierung auf dieses Thema könnte in Zeiten steigender Inflation und größer werdender sozialer Not auch viele Wähler verärgern.

Sturgeon hinterlässt Vakuum in ihrer Partei

Trotz solch interner Debatten war Sturgeon als Führungsfigur der SNP weitgehend unumstritten. Sie übernahm die Parteileitung nach dem gescheiterten Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2014, bei dem sich 55 Prozent der Schotten für einen Verbleib bei Großbritannien aussprachen. Sturgeon wurde daraufhin eine der erbittertsten Gegnerinnen Londons und forderte speziell nach dem Brexit ein erneutes Referendum. Sie führte die SNP immer wieder zu Wahlerfolgen – am beeindruckendsten bei der britischen Parlamentswahl 2015, bei der die SNP 56 der 59 schottischen Sitze abräumte. Ihren Höhepunkt erreichten Sturgeons Beleibtheitswerte während der Corona-Pandemie, als sie – im Gegensatz zum flatterhaften britischen Premier Boris Johnson – den Schotten Stabilität vermittelte.

Nun hinterlässt Sturgeon, die einfache Parlamentarierin bleiben will, mit ihrem Rücktritt ein Vakuum in der SNP – war sie doch die prägende Figur der Partei, die in vielen Fragen das letzte Wort gesprochen hat. Die Nachfolgerin von Sturgeon, die sich selbst als Feministin bezeichnet, könnte abermals eine Frau sein: Als eine der Favoritinnen gilt die 32-jährige Kate Forbes, die derzeit für die Finanzen in der schottischen Regierung zuständig ist. Aber auch der Name des 58-jährigen Vizeregierungschefs John Swinney wird genannt. (apa, afp, dpa, reuters)