Mit einem schnellen Kriegsende und der Kapitulation der Ukraine binnen Tagen rechnete das Gros der Politiker im Westen. Nur wenige Stunden nach Beginn der Invasion am 24. Februar 2022 landen russische Truppen auf einem Flugplatz nördlich von Kiew. Sie sollen die ukrainische Hauptstadt rasch einnehmen. Doch binnen eines Tages werden die russischen Elite-Fallschirmjäger ausgeschalten und die Landebahn zerstört.
Sinnbildhaft für den Widerstandsgeist der Ukrainer wird ein Funkspruch, der ebenfalls am ersten Kriegstag fällt. Russische Truppen wollen die Schlangeninsel im Schwarzen Meer unter ihre Kontrolle bringen und fordern zum Ergeben auf. Die Antwort eines Ukrainers: "Russisches Kriegsschiff, fick dich!" Den Satz ziert später sogar eine Briefmarke. Ende Juni müssen russische Truppen die Schlangeninsel wieder räumen. Auch der Vormarsch nach Kiew bleibt stecken.
Bereits im März definiert Moskau seine Kriegsziele neu. Die Regionen Donezk und Luhansk im östlichen Donbas sollen vollständig "befreit" werden. Dort kämpfen seit 2014 prorussische Separatisten gegen die ukrainische Armee. Russland setzt seine überlegene Artillerie ein. Im Süden ist die Hafenstadt Mariupol ein wichtiges Eroberungsziel. Das Rote Kreuz beschreibt die drei Monate dauernde Belagerung als Hölle. Als letzte harren Zivilisten und Soldaten im riesigen Asowstal-Stahlwerk aus. Auch dieses wird Sinnbild des Widerstands.
Stolz der Flotte versenkt
Mariupol und das Asowsche Meer sind von der Ukraine abgetrennt, über das Schwarze Meer und dessen Metropole Odessa erhält Russland nie die Kontrolle. Der Ukraine gelingt es sogar, die "Moskwa", Stolz der russischen Schwarzmeerflotte, zu versenken.
Mariupol steht aber auch für die Gräuel an Zivilisten. Russische Truppen zerstören ein Theater, in dessen Keller Familien Schutz gesucht hatten. Satellitenfotos zeigen, dass vor dem Gebäude auf den Boden in riesigen Lettern "Kinder" geschrieben wurde, um der Bombardierung zu entgehen. Für internationales Entsetzen sorgen auch die Massengräber in Butscha bei Kiew, die nach Abzug der russischen Truppen entdeckt werden. Fast alle der 450 Opfer sind Zivilisten. Auch an anderen Orten werden Massengräber mit Zivilisten entdeckt, so im September in Isjum.
Schon im Monat zuvor startete die Ukraine eine Gegenoffensive in der Region Cherson im Süden, gegenüber der Krim. Die Halbinsel wurde 2014 von Russland annektiert, dort liegt der Hauptstützpunkt seiner Schwarzmeerflotte. Auf der Brücke, welche die Krim mit russischem Festland verbindet, kommt es im Oktober zu einer schweren Explosion.
Im Osten beginnt die Ukraine ihre Gegenoffensive Anfang September, als die Aufmerksamkeit noch auf den Süden gerichtet ist. Dort rücken die ukrainischen Soldaten rasch vor. In der Region Charkiw verzeichnen sie erstaunliche Geländegewinne und erobern den einzigen Eisenbahnknoten zurück, der die russische Frontlinie durch den Nordosten der Ukraine versorgt.
Zugesetzt, nicht lahmgelegt
Russland reagiert mit einer Teilmobilmachung, hunderttausende Reservisten werden einberufen. Dennoch muss es sich im November vom westlichen Ufer des Flusses Dnipro zurückziehen.
Moskau schlägt zurück, indem es zivile Infrastruktur in der Ukraine beschießt; im Winter fällt der Strom aus. Die Ukrainer sollen frieren und zermürbt werden. Auch dank der berüchtigten Söldnertruppe Wagner soll die strategisch wichtige Stadt Bachmut im Osten erobert werden, zugleich wachsen die Spannungen zwischen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und dem Verteidigungsministerium in Moskau.
Nun will Russland erst Bachmut, dann Kramatorsk erobern. Die Region Donezk wäre dann für die Ukraine verloren. Diese wartet sehnsüchtig auf die Kampfpanzerlieferungen aus dem Westen; im März sollen deutsche Leopard 2 und britische Challenger 2 zum Einsatz kommen, und die USA haben ein Bataillon zugesagt. Von Munition über Drohnen bis zur Flugabwehr herrscht großer Bedarf. Versiegen die Lieferungen von EU- und Nato-Ländern, ist der Krieg für die Ukraine verloren.
Zwar sind bis zu 60.000 russische Soldaten gefallen oder in Gefangenschaft. Der Kreml könnte aber noch Millionen mobilisieren. Sanktionen haben der russischen Rüstungsindustrie zugesetzt, sie aber nicht lahmgelegt. Russland bedient sich im Ausland, kauft iranische Drohnen. Am Jahrestag des Kriegsbeginns ist fast ein Fünftel des ukrainischen Territoriums besetzt.(red.)