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Sunaks wagemutiger Deal

Von Michael Schmölzer

Politik

Brüssel und London einigen sich auf ein Nordirland-Abkommen. Für den britischen Premier ein gefährliches Unterfangen.


Im Sommer 2016 sprach sich eine Mehrheit der Briten für den Brexit aus, doch noch immer ist der Austritt aus der EU nicht komplett bewerkstelligt. Es spießte sich zuletzt an der Nordirland-Frage - eine Materie, die London und Brüssel zahllose Verhandlungen gekostet hat, ohne dass es je zu einer wirklich tragfähigen Lösung gekommen wäre.

Das soll jetzt anders werden. Am Montag traf sich der britische Premier Rishi Sunak mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der Nähe von London. Wenig später verkündete er, dass der "entscheidende Durchbruch" gelungen sei.

Nun muss er allerdings die innenpolitischen Gegner des Deals überzeugen - eine schwierige Aufgabe.

Ungeliebtes Protokoll

Ein Nordirland-Protokoll als Teil des Brexit-Vertrags gibt es bereits, doch der bisherige Inhalt ist London und Nordirlands Protestanten ein Dorn im Auge: Derzeit ist es so, dass bestimmte Waren in der See vor Irland zu kontrollieren sind, bevor sie entladen werden. Das ist notwendig, damit diese Güter nicht ungeprüft aus Nicht-EU-Ländern in die EU kommen. Und vor allem: Damit soll eine innerirische Zollgrenze verhindert werden. Der blutige Konflikt auf der Insel steckt allen immer noch in den Knochen, eine neue Radikalisierung muss unbedingt vermieden werden.

Doch Nordirlands Protestanten, vertreten durch die DUP, fürchteten, so vom Mutterland abgeschnitten zu werden, und liefen gegen die Bestimmungen Sturm. Es kam zu einem weiteren Problem, das für Schlagzeilen sorgt. Die Zollkontrollen führten immer wieder zu einer Verzögerung im Warenverkehr und zu Versorgungsengpässen in nordirischen Supermärkten.

Premier Sunak wollte ein für alle Mal einen Schlussstrich ziehen und das Problem im Einvernehmen mit der EU lösen. Sein Vor-Vorgänger im Amt, Boris Johnson, war auf die Idee verfallen, das Protokoll einfach im Nachhinein unilateral abzuändern. Das entsprach zwar dem politischen Stil des Tory-Politikers, wäre aber ein Verstoß gegen international gültige Rechtsprinzipien gewesen.

Sunak fährt hier einen gemäßigteren - wenn auch für sein politisches Überleben riskanten - Kurs. Auf britischen Druck hat die EU schon im Vorjahr die Zollkontrollen abgemildert. Mit dem neuen Abkommen ist es so, dass Waren aus dem Rest des Königreichs, die in Nordirland verbleiben, minimal oder gar nicht kontrolliert werden (Green Lane). Andere Güter, die via Nordirland nach Irland und in andere EU-Länder weiter transportiert werden, sollen genauer geprüft werden (Red Lane). Auch das ist für viele Nordiren nicht akzeptabel.

Bei den jüngsten Verhandlungen ging es auch darum, dass London wieder die Höhe der Mehrwertsteuer in Nordirland festsetzen und die Höhe von Subventionen bestimmen will.

DUP spielt auf Zeit

Als von der Leyen am Montag nach London reiste, war so gut wie klar, dass es zu einer Einigung mit den Briten kommt. Sie freue sich darauf, "ein neues Kapitel mit unserem Partner und Freund aufzuschlagen", war von der Leyen schon im Vorfeld von einem Erfolg überzeugt.

Während sich die EU-Kommissionspräsidentin in Gelassenheit üben kann, steht für Sunak politisch viel auf dem Spiel. Er muss die nordirischen Protestanten und die hartgesottenen Brexiteers in seinen eigenen Reihen umstimmen. Entscheidend für Sunaks Erfolg ist die protestantische DUP, die aus Protest gegen das Protokoll seit Monaten eine Regierungsbildung in Nordirland blockiert und sich nicht mit Kompromissen zufriedengibt.

Die DUP-Führung spielt auf Zeit und will das neue Abkommen mit der EU studieren. Mit erbittertem Widerstand ist aber zu rechnen: Zahlreiche Menschen seien gestorben, hieß es aus der DUP, damit Nordirland Teil des Vereinigten Königreichs sein dürfe. Das wolle man sich jetzt nicht zerstören lassen.

Am Montag erklärte Sunak, dass das britische Parlament das letzte Wort haben werde. Dort würde die oppositionelle Labour-Party für die Einigung stimmen; damit wäre Westminster für Sunak keine große Hürde.

Wie Dieter Reinisch, Experte für britische Politik, vor kurzem in der "Wiener Zeitung" ausführte, riskiert Sunak trotzdem zumindest längerfristig sein politisches Ende. Schon die Ausgangslage ist aus Sicht des Premiers schlecht. In Umfragen liegen die Tories 20 Prozent hinter Labour. Würde heute gewählt, wären die Konservativen nur die viertgrößte Fraktion hinter Labour, den Liberalen und den schottischen Nationalisten. Im Mai stehen Regionalwahlen an, die die Tories wohl verlieren werden.

Geballte Gegnerschaft

Dazu kommt, dass die DUP von der rechtskonservativen, europafeindlichen Tories-Gruppierung mit Namen "European Research Group" unterstützt wird. Hundert Konservative sollen gegen das Abkommen stimmen wollen, Minister aus dem Kabinett Sunak könnten zurücktreten. Sollte sich dieser gegen eine derartig geballte innerparteiliche Gegnerschaft stellen, könnte das sein Ende als Premier bedeuten. Es gibt Berichte, wonach ein innerparteiliches Misstrauensvotum bereits vorbereitet wird.

Sunak lässt sich nicht beirren und wirbt bei den Briten für sein Vorhaben: Die Souveränität Nordirlands sei gesichert, der Zusammenhalt im Königreich garantiert. Und es gebe bei neuen EU-Regeln, die Nordirland betreffen, für den Notfall mit der "Stormont-Bremse", benannt nach dem Parlament in Belfast, eine Form der Veto-Möglichkeit für die Nordiren.