Ein breites Bündnis gegen Bulgariens Politpatt: Das ist das Ziel von Kiril Petkow, der sich nach seiner Zeit als Kurzzeitpremier wieder im Wahlkampf befindet. Zum fünften Mal binnen knapp zwei Jahren sind die Bulgaren am 2. April zu den Urnen gerufen, um ein Parlament zu bestimmen. Petkows Antikorruptionspartei PP (Wir setzen den Wandel fort) tritt dabei gemeinsam mit dem bürgerlichen Bündnis Demokratisches Bulgarien und einer weiteren Kleinpartei an.

Als Ministerpräsident stand der Harvard-Absolvent im Vorjahr an der Spitze einer Vier-Parteien-Koalition, die nach rund sechs Monaten zerbrach. Wegen der prorussischen Kräfte in seiner Regierung konnte diese nicht offiziell Militärhilfe für die Ukraine leisten. Petkow und sein Finanzminister sowie Parteimitgründer Assen Wassilew fanden andere Wege: Unternehmen übernahmen die Lieferungen von Munition und Sprit über Rumänien, Ungarn, Polen.

"Wiener Zeitung": Die Politikverdrossenheit in Bulgarien ist groß: Bei der vergangenen Wahl im Oktober hat es gerade einmal jeder dritte Berechtigte zu den Urnen geschafft. Wie wollen Sie jetzt die Menschen dazu bewegen, für Sie zu stimmen?

Kiril Petkow: Wir wollen in dieser Kampagne eine Lawine lostreten, aus Menschen, die sich bisher nicht auf eine politische Seite geschlagen haben, aber zeigen wollen, dass Bulgarien über genügend positive Kräfte verfügt, die sich koordinieren und Taten setzen können. Wir nennen es "die guten Kräfte". Wir wollen nicht nur politische Parteien vereinen, sondern diese auch mit der Zivilgesellschaft. Etliche Nichtregierungsorganisationen haben schon deklariert, sie wollen nicht mehr abseits stehen und eine Trennlinie ziehen zwischen politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Sie wissen nämlich, dass die Basis ihrer Arbeit politisch errungen werden muss. So brauchen wir eine funktionierende Justiz, null Toleranz für Korruption, aber auch den Beitritt zur Euro- und Schengen-Zone. Wir sagen unseren Landsleuten auch: Ihr müsst euch entscheiden - wollt ihr die Entwicklung Bulgariens Richtung eines prosperierenden europäischen Staates forcieren oder wollt ihr, dass das Land bleibt, wie es ist, oder gar Rückschritte macht?

Das ist anscheinend nicht so einfach - die Zersplitterung in Gesellschaft und Politik ist deutlich.

Daher ist die Koordination so wichtig. Korruption zum Beispiel wird von einigen wenigen Leuten betrieben, aber sie ist sehr koordiniert. Wenn wir jedoch die vielen, von denen gestohlen wird, koordinieren können, dann erreichen wir auch die Mehrheit im nächsten Parlament. Einheit bedeutet Stärke, und wenn wir das im Parlament haben wollen, müssen wir das zuerst außerhalb schaffen.

Ende 2021 ist Ihre Bewegung als stimmenstärkste aus der Wahl hervorgegangen. Im Oktober gelang das nicht mehr; stattdessen gewann wieder die konservative Partei GERB, die dann aber keine Regierungskoalition bilden konnte. Was ist in der Zwischenzeit schiefgelaufen?

Als die Menschen zum ersten Mal für uns gestimmt haben, wussten sie nicht genau, wofür wir stehen. Beim zweiten Mal, im Oktober, wussten sie es bereits. Gefallen hat das weder korrupten Kreisen noch prorussischen Kräften. Diese wollten unseren Wahlsieg verhindern, auch mit Hilfe von negativer Propaganda. Hinzu kam, dass die Inflation spürbar wurde und etliche Menschen sich die Gründe dafür nicht bewusst machten. Außerdem wurden Ängste vor einem bitteren Winter geschürt. Dieser ist aber nicht so schlimm geworden, wie die Menschen mittlerweile bemerkt haben.

Generell gibt es eine Dissonanz zwischen der ökonomischen und der politischen Entwicklung Bulgariens. Die Wirtschaft erscheint stabiler als die Politik - und ihr Trend ist ein positiver. Warum ist diese Kluft so tief?

Tatsächlich entwickelte sich die Wirtschaft im Vorjahr recht gut. Zwar bewegte sich die Inflation bei 14 Prozent, aber die Wirtschaft wuchs um 3,9 Prozent, das Budgetdefizit lag bei 2,9 Prozent. Wir haben drei Mal die Sozialleistungen erhöht. Wir haben gezeigt, dass es genug Geld für alle gibt, wenn die Korruption gestoppt wird. Von der leben aber manche Leute, und sie werden für deren Erhalt kämpfen. Sie haben dafür auch Ressourcen, können mediale Schmutzkampagnen lostreten. Es gibt hunderte Artikel im Monat gegen mich und Assen (Wassilew), weil wir aufgehalten werden sollen. Auch soll den Menschen weisgemacht werden, dass sich jeder schmutzig macht, der in die Politik geht.

In Ihrer Regierungszeit kam Widerstand gegen Ihre Vorhaben sogar aus der Koalition. Als der Krieg in der Ukraine begann, gab es Debatten über Sanktionen gegen Russland, über Energiesicherheit. Wie hat sich Bulgarien nach einem Jahr Krieg verändert?

In mancher Hinsicht positiv. Die Bulgaren haben zum Beispiel keine Angst mehr davor, dass sie ohne russisches Gas nicht auskommen können. Wir haben bewiesen, dass es möglich ist, die Abhängigkeit von Gazprom von 95 Prozent auf null zu senken. Und wir haben gezeigt, dass es nicht ohne Konsequenzen bleibt, wenn sich jemand in unsere inneren Angelegenheiten einmischt. Als es im Frühjahr russische Cyberattacken und andere Einflussversuche gab, haben wir 70 russische Diplomaten ausgewiesen. Die Sympathie für Russland, in Bulgarien traditionell hoch, ist deutlich gesunken: Vor dem Krieg äußerten sie in Umfragen 70 Prozent der Menschen, nun sind es 20 Prozent.

Erst im Dezember hat das Parlament in Sofia offiziell Militärhilfe für die Ukraine bewilligt. Sie haben aber schon Monate zuvor Wege gefunden, Waffen und Munition zu liefern. In welchem Umfang?

Im Vorjahr betrug der Wert rund 2,5 Milliarden Dollar. In der Anfangsphase des Krieges war Bulgarien ein Schlüsselspieler, im außenpolitischen Umfeld hat es eine wichtige und strategische Rolle eingenommen. Es hat uns mit Stolz erfüllt, dass wir uns auf die richtige Seite gestellt haben. Und wir haben an politischem Gewicht in Europa gewonnen.

Da würde eine Mitgliedschaft in der Euro- und Schengen-Zone gut dazu passen. Das ist aber verschoben.

Wenn wir rasch nach der Wahl eine Regierung bilden können, dann haben wir noch immer die Chance, im kommenden Jahr der Euro- und der Schengen-Zone beizutreten. Das Finanzministerium hat im Februar zwar keinen Konvergenz-Bericht abgegeben, aber dieser Schritt ist noch immer möglich. Etliche Kriterien erfüllen wir, etwa zum Budgetdefizit und zur Währungsstabilität. Bleibt die Inflation - aber da wird die Entwicklung auch schon besser.

Den Schengen-Beitritt hat Österreich blockiert, auch die Niederlande sind skeptisch. Ein Affront?

Wir wissen, dass wir noch einiges unternehmen müssen, etwa bei Grenzkontrollen. Wir können das ja mit unseren europäischen Partnern machen. Vielleicht können wir unsere österreichischen oder niederländischen Freunde fragen, ob sie mit uns ein gemeinsames Programm starten wollen, bis sie sich überzeugt haben, dass die Grenzen sicher sind. Ich glaube nicht, dass die Österreicher etwas gegen Bulgarien haben; sie fürchten sich bloß vor Migration.