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Im Vorhof von Europa und Putin

Von Alexander Dworzak

Politik

Viele Georgier sehnen sich nach der EU, das Land steckt aber tief im Einflussbereich Russlands.


Die Proteste zeigten Wirkung. Georgiens Regierung kündigte an, dass sie ein umstrittenes Gesetz zurückzieht, das geplante Register für "ausländische Agenten" kommt doch nicht. Als solche hätten Medien und Nichtregierungsorganisationen gegolten, die zumindest ein Fünftel ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten. Sie wären unter Aufsicht des Justizministeriums gestellt worden und von hohen Pönalen bedroht gewesen.

"Wir sehen, dass der Gesetzesentwurf zu Meinungsverschiedenheiten in der Gesellschaft geführt hat", erklärte die Regierungspartei Georgischer Traum am Donnerstag ihren Rückzieher. Denn bereits der Text des Gesetzesentwurfes machte klar, dass Russland als Vorbild für die Aktion diente. Im Parlament in Tiflis wurde ein Antrag zu "ausländischen Agenten" eingebracht, über den beinahe wortgleich vor mehr als zehn Jahren die Kollegen in der Moskauer Duma abstimmten. Mithilfe der Regelung aus dem Jahr 2012 werden Kritiker von Präsident Wladimir Putin rechtlich gegängelt und öffentlich gebrandmarkt. Mehrfach wurde das Gesetz seit Inkrafttreten verschärft.

Die Sorgen vor einer Wiederholung in Georgien schienen nicht unbegründet. Niemand Geringerer als der Chef der Regierungspartei, Irakli Kobachidze, titulierte Mitglieder der größten Oppositionskraft, der Vereinten Nationalen Bewegung, als "Spione". Nichtregierungsorganisationen wurden von ihm als "extremistisch" abgestempelt. Premier Irakli Garibaschwili behauptete, viele NGOs kämpften "gegen die Interessen des Staates".

Viele Bürger wurden dadurch aufgeschreckt, obwohl die Partei Georgischer Traum seit 2012 als Sieger sämtlicher Parlamentswahlen hervorgegangen ist. Doch in der Bevölkerung gibt es eine große Sehnsucht nach einem EU-Beitritt, ein kleinerer Teil wünscht sich auch die Nato-Mitgliedschaft. Ausgerüstet mit Europa-Flaggen, marschierten die Demonstranten in den vergangenen Tagen vor dem Parlament in Tiflis auf und bedeuteten der Regierung, ein derartiges Gesetz gefährde den Weg in die Europäische Union. "Ich bin hierher gekommen, weil ich weiß, dass mein Land zu Europa gehört, aber meine Regierung versteht das nicht", sagte Demetre Schanschiaschwili der Nachrichtenagentur Reuters.

Lahmlegung leicht möglich

Kurz darauf mahnte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell, das Gesetz sei "unvereinbar mit den Werten der EU". Es richte sich auch gegen das Ziel Georgiens, der Union beizutreten. Seit 2016 ist ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Kaukasus-Republik in Kraft. Zölle für die Einfuhren nach Georgien wurden gesenkt, das seine Rechtsvorschriften und Normen schrittweise an jene der EU angleichen soll. Nur wenige Tage nach Russlands Angriff auf die Ukraine Ende Februar 2022 stellte Georgien einen Antrag auf Beitritt zur EU - zwei Jahre früher als ursprünglich geplant. Die Staats- und Regierungschefs der Union gewährten allerdings nur eine Beitrittsperspektive, anders als bei der Republik Moldau und der Ukraine.

Dass Georgiens Regierung nach Europa drängt, sich mit ihrer Politik aber von der EU entfernt, ist nicht neu. Über ein Fünftel der Landesfläche hat die Regierung in Tiflis keine Kontrolle. Seit dem Krieg 2008 sind prorussische Führungen in Abchasien am Schwarzen Meer und in Südossetien an der Macht. "Die Russen stehen bis heute nur 15 Panzer-Minuten entfernt von der zentralen West-Ost-Autobahn zwischen Batumi und Tiflis, sie können mühelos unser Land lahmlegen", sagte Ex-Außenminister Tedo Japaridze zum "Spiegel".

Sorgen bereiteten Japaridze auch die vielen Russen, die sich seit der Teilmobilmachung im Herbst abgesetzt haben, um nicht in der Ukraine kämpfen zu müssen. Weit auseinander gehen die Schätzungen, wie viele in Georgien gelandet sind. Von 100.000 bis 300.000 Personen ist die Rede - und das bei einem 3,7-Millionen-Einwohner-Land. Abgesehen von praktischen Problemen wie deutlich gestiegenen Wohnungspreisen: Russland könnte wie im Donbass erklären, wo russische oder russischsprachige Bürger angeblich bedroht sind, darf sich Moskau einmischen.

Keine Russland-Sanktionen

Militärisch, politisch und wirtschaftlich besitzt Russland Einflussmöglichkeiten in Georgien. Die Regierung in Tiflis hütete sich davor, russische Unternehmen und Personen nach dem Überfall auf die Ukraine zu sanktionieren. Russischen Oppositionellen wird dagegen die Einreise nach Georgien verwehrt. Das bestärkt die georgische Opposition in ihrer Kritik an der vermeintlich viel zu Moskau-freundlichen Regierung. Diese beschwichtigt, und mit ihr der starke Mann hinter der Partei Georgischer Traum: der Ex-Premier, frühere Parteichef und Oligarch Bidsina Iwanischwili.

Erschwerend kommt hinzu, Georgien ist von alles andere als einfachen Nachbarn umgeben: Im Süden hat sich Recep Tayyip Erdogan vom Modernisierer zum immer autoritärer regierenden Präsidenten der Türkei gewandelt. Armenien und Aserbaidschan sind seit Jahren verfeindet, zuletzt herrschte 2020 Krieg um die Region Bergkarabach. Der Weg in die EU wird ein beschwerlicher - ungeachtet dessen wollen ihn viele Georgier bestreiten.