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Paris versinkt im Mist

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Die städtische Müllabfuhr streikt, um gegen die Pensionsreform der Regierung zu protestieren. Die Lage spitzt sich zu.


Es ist drei Uhr morgens, als ein großer Müllwagen durch die Rue de Buci im schicken sechsten Arrondissement (Bezirk) von Paris fährt. Ein Kamerateam des französischen Info-Fernsehsenders BFM filmt ihn auf seinem Weg, als handle es sich um eine Sensation. Tatsächlich ist die Entsorgung von Abfall, so sehr sie sonst zum Alltag der französischen Hauptstadt gehört, zur Rarität geworden. Der Wagen kommt nur im Schneckentempo voran, damit die Mitarbeiter nach und nach die Berge an Müllsäcken, die sich an den Straßenrändern türmen, in den Wagen werfen können. Für ein Interview stehen die Männer nicht zur Verfügung, ihre Gesichter verdecken sie mit den Händen. Sie arbeiten für ein privates Dienstleistungsunternehmen und möchten nicht als illoyal gegenüber den Kollegen der städtischen Müllentsorgung erscheinen.

Diese befinden sich seit dem 6. März im Streik, um gegen die geplante Erhöhung des Pensions-Antrittsalters von 62 auf 64 Jahre zu protestieren. Am Donnerstag soll die Reform beschlossen werden, obwohl sich 70 Prozent der Franzosen dagegen aussprechen. Mehrere Berufsgruppen, so auch Mitarbeiter der Bahn oder der Raffinerien, haben die Arbeit niedergelegt. Doch die Folgen des Ausstandes bei der Müllabfuhr zeigen sich auf besonders beeindruckende Weise: In den meisten der 20 Pariser Arrondissements häufen sich die Berge an Abfall auf den Gehsteigen teils meterhoch und machen diese auch unbegehbar. 7.000 Tonnen sollen es inzwischen insgesamt sein.

Manchmal platzen die Plastiksäcke auf und der Inhalt quillt heraus. Nur an besonders belebten Verkehrsknotenpunkten, nach Wochenmärkten oder in manchen Straßen wie in jener Nacht in der Rue de Buci werden die Abfälle abgeholt. Doch auch drei Verbrennungsanlagen in Pariser Vororten werden bestreikt.

Touristen, die zu Besuch in der vermeintlich "schönsten Stadt der Welt" unterwegs sind, rümpfen die Nase über den Gestank. "Wir sind hier dabei, die Chinesische Mauer zu errichten", witzelte Jean-Pierre Reveyrolle, Chef des "Café Kleber" am Pariser Trocadéro-Platz, gegenüber der Tageszeitung "Le Parisien". Von seinem Lokal aus bietet sich ein herrlicher Blick auf den Eiffelturm. Doch die Besucher fotografieren derzeit weniger das Pariser Wahrzeichen, sondern vor allem den Müll. "So bleibt ihnen eine Erinnerung", spottet Reveyrolle. Mit anderen Gastronomen der anliegenden Cafés wolle er Geld zusammenlegen, um eine private Firma zu beauftragen.

Seitens der Stadt werden die Angestellten der Müllabfuhr sogar ermutigt, ihre Streikbewegung fortzusetzen. Diese habe ihre "vollständige Unterstützung", bekräftigte die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Am Mittwoch ließ sie eine Sitzung des Stadtrates der Metropole unterbrechen, damit sich dessen Mitglieder an den Demonstrationen beteiligen konnten.

Lokalbetreiber verdecken Müllberge mit Planen

Längst wächst sich die Frage zu einem politischen Machtkampf aus. Innenminister Gérald Darmanin wies die Polizeipräfektur an, das Rathaus dazu aufzufordern, entweder private Müllfirmen anzustellen oder Personal zwangsweise zu verpflichten. Sollte die Stadt ihrer Verpflichtung, die öffentliche Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit zu gewährleisten nicht nachkommen, könne die Präfektur selbst entsprechende Vorkehrungen treffen. Aus Hidalgos Umfeld verlautete, sie halte nichts von einer Zwangsverpflichtung, sondern rate dazu "den Dialog der Anwendung von Gewalt vorzuziehen". Gesundheitsexperten warnen vor der Ausbreitung von Krankheiten durch die Müllberge in den Straßen.

"Niemand leugnet die Unannehmlichkeiten für die Pariserinnen und Pariser", sagte der Gewerkschaftsführer Laurent Berger. Doch nachdem man den Mitarbeitern der Müllabfuhr während der Corona-Pandemie applaudiert habe, weil sie weiter ihrer Arbeit nachgingen, müsse man nun auch ihre harten "sozialen Realitäten" berücksichtigen. "Wir machen das nicht zum Spaß", sagte der Müllmann Greg in der Zeitung "Le Parisien" hinsichtlich des Streiks: "Die Pariser entdecken nun, dass es Ratten in ihrer Stadt gibt. Aber wir fangen um sechs Uhr morgen an und die Ratten gehören zu unserem Alltag." Damit die kleinen Nager den Gästen beim Café-Besuch nicht zwischen den Beinen herumlaufen, meiden immer mehr trotz frühlingshaft werdender Temperaturen die Tische in den Außenbereichen, sagte Franck Delbau, Vorsitzender der Vereinigung der Hotellerie-Berufe der Hauptstadtregion. "Manche von uns werden den Umsatz von mindestens einer Woche verlieren", warnte er. Einige Lokalbetreiber gingen dazu über, die Müllberge mit großen Planen zu überdecken.

Das Tourismusamt der Stadt zeigte sich jedoch nicht alarmiert und erklärte, bisher seien die Auswirkungen minimal. Die Müllabfuhr-Mitarbeiter haben schon angekündigt, ihren Streik bis zum 20. März fortzusetzen. Von ähnlichen Arbeitsniederlegungen betroffen sind auch andere französische Städte. In Nantes beauftragte das Rathaus ein Privatunternehmen, um die Straßen von 3,5 Tonnen Müll zu befreien. Im nordfranzösischen Le Havre werden die Bewohner dazu aufgerufen, vorerst ihren Abfall nicht mehr hinauszustellen.