Hunderttausende aufgebrachter Franzosen sind am Donnerstag gegen die von Präsident Emmanuel Macron durchgesetzte Erhöhung des Rentenalters auf die Straßen gegangen. Im Zentrum von Paris kam es bei einer anfänglich friedlichen Kundgebung zu Zusammenstößen, nachdem Einsatzkräfte von kleinen "Schwarzer Block"-Gruppen mit Wurfgeschossen angegriffen und Müllcontainer in Brand gesetzt wurden.
Die Polizei setzte Tränengas ein, eine Filiale der Schnellimbiss-Kette McDonald's wurde geplündert. Schaufensterscheiben wurden eingeworfen, Bänke demoliert. Nach Medienberichten wurde 21 Menschen festgenommen. Nach Angaben der Gewerkschaft CGT beteiligten sich allein in der Hauptstadt rund 800.000 Menschen an den Protesten.
Die Polizei schätzte, landesweit könnten sich so viele Menschen wie nie zuvor in die Demonstrationszüge gegen die Erhöhung des Pensionsantrittsalters von 62 auf 64 Jahre sowie anderer sozialer Einschnitte eingereiht haben. Tumulte gab es in mehreren anderen Städten. In Nantes und Bordeaux im Westen des Landes feuerte die Polizei Tränengas-Granaten auf die Demonstranten. In Rennes setzte sie Wasserwerfer ein. In Lorient wurde laut der Zeitung "Ouest-France" durch Wurfgeschosse der Hof einer Polizeiwache in Brand gesetzt. Am Pariser Flughafen Roissy-Charles de Gaulle brach ein wilder Streik aus, Protestierer blockierten die Zufahrt zu einem Terminal.
"Nein zur Pensionsreform"
Streikende blockierten die Gleise des Pariser Bahnhofs Gare de Lyon, wie auf Aufnahmen des Senders BFM zu sehen war. Demonstranten hielten Protestbanner mit "Nein zur Pensionsreform" hoch. Auch viele Lehrer beteiligten sich an den Ausständen ebenso wie Raffinerie-Arbeiter.
Viele Leute seien wütend, sagte der CGT-Vorsitzende Philippe Martinez. Die Situation sei explosiv. Er und andere Gewerkschaftsführer riefen zur Ruhe auf, zeigten sich aber verärgert über Macrons "provokative" Kommentare. Laurent Berger, Chef von Frankreichs größter Gewerkschaft CFDT, sagte dem Sender BFM TV, Macrons Äußerungen hätten die Wut verstärkt. "Er ist derjenige, der das Land in Brand setzt", sagte Celine Verzeletti von der Gewerkschaft CGT dem Radiosender France Inter. Am Mittwoch hatte Macron in einem Fernsehinterview sein Vorhaben verteidigt und gesagt, bis Jahresende sollten die Änderungen in Kraft gesetzt werden. Zudem verglich er die Proteste mit dem 6. Jänner 2021, dem Tag des Sturms auf das Kapitol in Washington.
Macron vermied Kontakt zur Öffentlichkeit
Macron selbst vermied am Donnerstag den Kontakt zur Öffentlichkeit und stellte sich bei seiner Ankunft zum EU-Gipfel in Brüssel entgegen den Gepflogenheiten nicht Reportern. Einer der umstrittensten Punkte der Reform ist die Anhebung des Pensionsantrittsalters. Abgelehnt wird aber auch die Anhebung der Anzahl der Arbeitsjahre, die zum Bezug der vollen Pension berechtigen. Umfragen zufolge lehnt die Mehrheit der Wähler dies ab. "Ich streike, weil ich gegen die Pensionsreform protestiere, aber auch gegen das, was in der Regierung passiert", sagte Lucile Bidet, Angestellte bei Air France, auf einer Demonstration in Nantes im Westen Frankreichs. "Sie hören nicht mehr auf das Volk."
Seit die Pläne bekannt wurden, kam es immer wieder zu Generalstreiks und Demonstrationen, die meist friedlich verliefen. Seit aber Macrons Regierung die Reform in der vergangenen Woche durch einen Verfahrenskniff unter Umgehung einer Abstimmung im Parlament auf den Weg gebracht hatte, hat der Widerstand an Schärfe gewonnen. In den vergangenen Nächten gab es etwa in Paris und anderen Städten spontane Proteste, bei denen auch Mülltonnen angezündet wurden und es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam.
Derzeit liegt das Pensionsantrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt aber später: Wer für eine volle Pension nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Pension ohne Abschlag - dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Pension schneller steigen soll. Die monatliche Mindestpension will sie auf etwa 1.200 Euro hinaufsetzen. Mit der Reform will die Regierung eine drohende Lücke in der Pensionskasse schließen. (apa, reuters, dpa)