Zum Hauptinhalt springen

Zeit des Wunschdenkens ist vorbei

Von Klaus Huhold

Politik

Das aggressivere Auftreten Chinas verlangt laut von der Leyen auch eine härtere Antwort der EU.


Wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist, dann läuft die Politik Gefahr, fatale Fehleinschätzungen vorzunehmen. Das haben die Beziehungen zu Russland sehr anschaulich gezeigt. Obwohl der Kreml schon sehr früh kleine Länder, etwa Georgien 2006, mit dem Drosslen von Gaslieferungen politisch erpresst hatte, obwohl Wladimir Putin mit einem militärischen Handstreich die Krim 2014 erobert und damit bereits die souveräne Ukraine angegriffen hatte, erhöhten europäische Länder - allen voran Deutschland und Österreich - ihre Abhängigkeit vom russischen Gas. Das Gas war billig, und der Wunsch, dass Russland hier nur geschäftliche und keine geopolitischen Interessen verfolgen würde, groß. Den Preis dafür zahlt Europa heute.

Derartige Fehler will die EU künftig vermeiden - vor allem bei China, das mit Russland trotz des Überfalls auf die Ukraine eine enge Partnerschaft pflegt. Das machte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag bei einer Rede zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und China klar. "Nur, wenn wir die Welt so begreifen, wie sie ist - und nicht so, wie wir sie uns vielleicht wünschen - können wir eine fundierte Politik betreiben", betonte die Deutsche.

Und so war der erste Teil ihrer Rede, die sie bei einer Veranstaltung des Merics-Instituts für China-Studien und der Denkfabrik European Policy Centre hielt, einer Analyse gewidmet, wohin sich die Volksrepublik entwickelt. Der Befund lautete, dass "China nun die Zeit der Reform und Öffnung hinter sich gelassen hat und in eine neue Ära der Sicherheit und der Kontrolle eingetreten ist."

Entsprechend treten nun Staatschef Xi Jinping und die Kommunistische Partei international auf. Von der Leyen verwies darauf, dass die Volksrepublik ihr Heer aufrüsten und bei Gebietsansprüchen, etwa im Südchinesischen Meer, immer aggressiver auftreten würde. Dass es im Ausland Desinformationskampagnen fahren würde. Dass es andere Staaten wirtschaftlich immer abhängiger mache und seine wirtschaftliche Macht immer mehr ausspielen würde - wie die Handelsbeschränkungen gegen Litauen bewiesen haben, nachdem in Vilnius ein Taiwan-Büro eröffnet worden war. Alles in allem wolle China mit seinem Machtstreben die derzeitige internationale Ordnung verändern.

"Risikominderung statt Entkopplung"

Das aggressivere Auftreten Chinas verlange aber auch eine entsprechende, härtere Reaktion Europas, indem etwa Abhängigkeiten verringert werden. Teilweise ist Europa nämlich China geradezu ausgeliefert: 98 Prozent seiner Seltenen Erden und 97% seines Lithiums - das derzeit für die E-Mobilität unabdingbar ist - bezieht die EU aus China. Die Kommission will dem mit der erst kürzlich vorgelegten Industriestrategie entgegenwirken.

Außerdem müsse die EU in sensiblen Hochtechnologie-Bereichen wie Mikroelektronik, Künstliche Intelligenz und Biotechnologie ihre Beziehungen neu definieren. Wenn Wissen und Technik aus Europa für militärische Zwecke oder der Verletzung von Menschenrechten verwendet werden könne, "müssen wir eine klare Linie verfolgen, wenn es darum geht, ob Investitionen oder Ausfuhren im Interesse unserer eigenen Sicherheit liegen", sagte von der Leyen.

Gleichzeitig betonte sie aber, dass der Großteil des Handels mit China vollkommen risikofrei sei. Es sei daher nicht im Interesse Europas, sich vollkommen von der Volksrepublik loszulösen. "Deshalb müssen wir uns auf die Risikominderung anstatt Entkopplung konzentrieren", analysierte die Kommissionspräsidentin.

Darüber hinaus müsse Europa, um eben das internationale System, "in dem Länder miteinander konkurrieren und zusammenarbeiten können", zu stärken, die Gesprächskanäle mit China und den diplomatischen Austausch offen halten. So ist man bei der Bekämpfung des Klimawandels auf Kooperation angewiesen und auch Abkommen zum internationalen Abkommen zum Naturschutz - etwa dem zur Erhaltung der biologischen Vielfalt - hat man gemeinsam mit Peking ausverhandelt.

Von der Leyen wird mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron kommende Woche nach Peking reisen. Mit ihrer Rede hat sie die Position der EU gegenüber China noch einmal abgesteckt. Dabei definierte sie die Volksrepublik klar als "strategischen Rivalen", hielt aber die Tür zur Kooperation offen. So geht die EU zu Distanz auf Peking, aber dabei nicht so weit wie die USA, die auf eine immer härtere Konfrontation mit China zusteuern.

Doch so stringent sich von der Leyens Strategie auch anhört, ihren Praxistest wird sie erst bestehen müssen. Dabei wird entscheidend sein, inwieweit es Europa gelingt, gemeinsam zu handeln. Denn die europäischen Staaten haben verschieden Interessen und Haltungen gegenüber China. Für Deutschlands Autoindustrie ist etwa der riesige Exportmarkt weiterhin von enormer Bedeutung, während China vor allem in süd- und osteuropäische Staaten zusehends als Financier und Partner bei Infrastrukturprojekten aufzutreten versucht - was wiederum neue Abhängigkeiten schaffen könnte.