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Kein Nato-Bonus für Sanna Marin

Von Alexander Dworzak

Politik

Bei der Parlamentswahl könnten die Sozialdemokraten Platz eins verlieren.


Es ist so gut wie vollbracht. Für Finnlands Nato-Beitritt fehlen nur noch Formalitäten. Als letztes Mitglied des Verteidigungsbündnisses deponierte die Türkei ihr Ja zur Aufnahme des nordeuropäischen Landes. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte das Ende der Blockadehaltung bereits angekündigt, die Parlamentarier in Ankara vollzogen diesen Schritt nun auch formal. Damit wird Finnland 29. Nato-Mitglied - ein Schritt, der Anfang 2022 undenkbar schien.

Durch den russischen Überfall auf die Ukraine wurde Finnlands jahrzehntelange Bündnisfreiheit schlagartig infrage gestellt. Premierministerin Sanna Marin scheute klare Unterstützung für die Ukraine nicht, obwohl Finnland 1.340 Kilometer Grenze mit Russland teilt. Sie führte auch einen Kurswechsel bei ihren traditionell Nato-skeptischen Sozialdemokraten (SDP) durch. Die anderen Parteien zogen mit, 184 Parlamentsabgeordnete stimmten Anfang März für den Nato-Beitritt, lediglich sieben dagegen. Und statt wie früher zwei sind mittlerweile acht von zehn Finnen für die Mitgliedschaft in der Nato.

Marins Führungsqualitäten in dieser Frage spielen bei der Parlamentswahl am Sonntag jedoch keine Rolle mehr, eben weil weitestgehend Konsens herrscht. Sehr wohl aber färbt das Image der 37-Jährigen auf ihre Partei ab: Marin ist deutlich populärer als die SDP. Bei Amtsantritt 2019 war sie jüngste Regierungschefin weltweit, mit der Schwedin Magdalena Andersson und der Dänin Mette Frederiksen bildete sie ein Trio weiblicher, linker Ministerpräsidentinnen im Norden, von dem die europäische Sozialdemokratie siegen lernen wollte.

Andersson wurde zwischenzeitlich vom Konservativen Ulf Kristersson abgelöst, und ob Sanna Marin im Amt bleiben kann, ist offen. Die SDP, die konservative Nationale Sammlungspartei und die rechtspopulistischen "Die Finnen" liegen laut Umfragen um die 20 Prozent. Bereits bei der Wahl vor vier Jahren trennten diese drei Parteien nur 0,7 Prozentpunkte.

Die Konservativen lasten Marin die gestiegenen Staatsschulden an. Die Bewältigung der Corona-Krise und höhere Militärausgaben zum Schutz vor Russland sorgten dafür, dass die öffentlichen Schulden binnen drei Jahren um rund zehn Prozent gestiegen sind, auf knapp 71 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022.

Zu wenig Personal im Gesundheitssektor

Damit liegt Finnland deutlich unter dem Wert Österreichs (78,5 Prozent) und dem EU-Schnitt von 86 Prozent. "Wir haben während der Amtszeit dieser Regierung außergewöhnliche Zeiten erlebt", rechtfertigt Marin die Ausgaben. Der konservative Spitzenkandidat Petteri Orpo kündigte an, bei einem Wahlsieg werde er auch schmerzliche Kürzungen im Sozialstaat in Kauf nehmen, um die Schuldenlast zu drücken.

Auf weniger Staatsschulden pochen auch "Die Finnen". Parteichefin Riikka Purra bemängelt auch das schlechtere Abschneiden des einst gerühmten Schulsystems und eine Krise im Gesundheitswesen. Dort sieht Premierministerin Marin ebenfalls Handlungsbedarf. Zwar gilt Finnland als Vorreiter bei der Digitalisierung des Sektors, Österreichs Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP) reisten deshalb im Februar nach Helsinki. Allerdings fehlen im 5,5-Millionen-Einwohner-Land seit Jahren Fachkräfte: Der finnische Pensionsversicherungsträger Keva rechnet mit einer Lücke von rund 1.800 Ärzten und mehr als 9.000 Krankenpflegern bis zum Jahr 2030.

"Die Finnen" orten darin eine Benachteiligung und Vernachlässigung der eigenen Bürger, während Marin den Klimaschutz global forciert - so auch im Verbund mit einer anderen linken und weiblichen Vorbildfigur, der mittlerweile zurückgetretenen neuseeländischen Ministerpräsidentin Jacinda Ardern. Vergangenen Mai beschloss Finnlands Parlament, dass der Staat bis 2035 Emissionen auf ein Minimum reduziert, so früh wie keine andere Industrienation. Gelingen soll das auch mithilfe neuer Atomkraftwerke.

In letzter Konsequenz dreht sich der Wahlkampf darum, wie die Milliarden für den finnischen Wohlfahrtsstaat verteilt werden sollen. Marin schließt eine Zusammenarbeit mit "Die Finnen" aus. Die Premierministerin regiert derzeit in einem Mitte-links-Bündnis von gleich fünf Parteien; neben ihrer SDP sind Zentrumspartei, Grüne, Linke Allianz und Schwedische Volkspartei Teil der Koalition.

Die Nationale Sammlungspartei, lange Zeit in Umfragen klar vorne, schließt einen Pakt mit den Rechtspopulisten nicht aus. Die stärkste Partei erhält traditionell den Regierungsauftrag. Gut möglich, dass wie in Schweden demnächst auch in Finnland eine linke Regierungschefin abgelöst wird.