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Kosovos Ex-Präsident vor Gericht

Von Martyna Czarnowska

Politik

Start des Prozesses gegen den ehemaligen UCK-Kämpfer Hashim Thaci wegen Kriegsverbrechen.


Er verstehe die Anklage und sei nicht schuldig. Hashim Thaci weist alle zehn Punkte, die ihm vor Gericht zur Last gelegt werden, zurück. Der einstige Rebellenführer, Ex-Premier und -Präsident, der mehr als ein Jahrzehnt die Politik des Kosovo mitprägte, muss sich vor einem Sondertribunal gegen Vorwürfe der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verteidigen. Am Montag begann der Prozess im niederländischen Den Haag - und er wird wohl Jahre dauern.

Die Taten, die Hintergrund der Untersuchung sind, liegen Jahrzehnte zurück. Das 2015 eingerichtete Tribunal beschäftigt sich mit Verbrechen, die während des Kosovo-Krieges 1998 bis 1999 begangen wurden. Dieser bedeutete mehr als 13.000 Tote und hunderttausende vertriebene Menschen. Die meisten Opfer haben serbische Sicherheitskräfte zu verantworten, die in der damals serbischen Provinz mit albanischer Mehrheitsbevölkerung wüteten. Damit befasste sich zum Teil ein anderes Sondergericht, das bis 2017 existierende Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien.

Ansprechpartner für Westen

Doch auch der UCK, der Befreiungsarmee des Kosovo, werden Verbrechen wie Mord, Folter und Verschleppung vorgeworfen. Nun sind vier einstige Führungsfiguren der paramilitärischen Organisation, die für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfte, angeklagt. Von ihnen war Thaci nicht der Einzige, der später ein hochrangiger Politiker des Staates wurde, der sich 2008 von Serbien löste. Auch Ex-Parlamentspräsident Kadri Veseli muss sich dem Verfahren in Den Haag stellen.

Doch vor allem Thaci steht für ein wichtiges Stück Geschichte des Kosovo. Der 54-Jährige, ein Mitbegründer der UCK, der einen Teil seiner Studienzeit in der Schweiz verbrachte und nach seiner Rückkehr in den Kosovo in den Guerillakampf zog, um später eine Delegation bei internationalen Friedensverhandlungen zu leiten, galt und gilt etlichen Kosovaren als Kriegsheld, der dazu beitrug, das Land in die Unabhängigkeit zu führen und danach als Premier, Außenminister und Präsident (2008 bis 2020) zu repräsentieren. Daher demonstrierten am Sonntag tausende Menschen in Prishtina gegen die Prozesseröffnung, und auch in Den Haag selbst versammelten sich am Montag hunderte Protestierende.

Als Politiker des Kosovo, dessen Eigenstaatlichkeit Serbien bis heute nicht anerkennt, war Thaci freilich nicht unabhängig von der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, nicht zuletzt der USA. Deren Einfluss reichte teils bis zur Besetzung politischer Spitzenposten. Und die Nato ist in dem kleinen Land mit knapp zwei Millionen Einwohnern noch immer präsent; auch Österreich beteiligt sich an den Kfor-Truppen.

Schon nach Beendigung des Kosovo-Krieges war Thaci dabei ein Ansprechpartner für westliche Politiker, ob für den Leiter der Interimsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo, Bernard Kouchner, oder für General Wesley Clark, der 1999 Nato-Oberbefehlshaber in Europa war. Später war Thaci ohnehin auch offiziell einer der Spitzenvertreter seines Landes. Als Präsident trat er im November 2020 zurück, nachdem die Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen ihn bestätigt wurde. Dann stellte er sich dem Gericht in Den Haag.

Dort erklärte Staatsanwalt Alex Whiting am Montag, dass "niemand über dem Gesetz" stehe, selbst in Kriegszeiten nicht. Es könne keine Rechtfertigung für "willkürliche Festnahmen von Zivilisten" geben, für Misshandlungen, Folter und Mord. Die Vertreter der Opfer führten an, dass für jeden Einzelnen von diesen das Leben auf einen Schlag für immer verändert wurde oder gar endete.

"Keine Befehlskette"

Thacis Verteidigung, ein Team unter Leitung US-amerikanischer Topanwälte, will nicht bestreiten, dass Verbrechen begangen wurden. Doch sei der Kontext anders zu bewerten, erklärte Verteidiger Gregory Kehoe im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Als nach Kriegsende 1999 hunderttausende kosovarische Flüchtlinge zurück in ihre Heimat strömten, habe es sicher auch Fälle von Rache und Abrechnungen gegeben. Doch sein Mandant trage keine Verantwortung dafür, argumentiert Kehoe. Die UCK-Freischärler hätten nämlich keine strikt hierarchisch aufgebaute Struktur, keine funktionierende Befehlskette gehabt, und so könne Thaci nicht für die Taten lokaler Kommandeure verantwortlich gemacht werden.

Einer von diesen ist Ende des Vorjahres verurteilt worden. In seinem ersten Spruch verhängte das Sondertribunal eine Freiheitsstrafe von 26 Jahren gegen Salih Mustafa. Der ehemalige UCK-Kommandant wurde dreier Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit mindestens sechs Gefangenen für schuldig befunden, Er habe unter anderem die Häftlinge, die der Kollaboration mit den Serben verdächtigt wurden, in einem UCK-Behelfsgefängnis misshandelt.