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US-Papiere zweifeln an Erfolg der Ukraine

Politik

Das Pentagon befürchtet laut geleakten Dokumenten, dass die Frühjahrsoffensive gegen Russland stecken bleiben könnte.


Seit geraumer Zeit wird eine ukrainische Frühjahrsoffensive gegen Russland erwartet und über die Chancen eines derartigen Vorstoßes spekuliert. Ein Datenleck geheimer US-Dokumente zeigt jetzt, dass man in Washington nicht glaubt, dass die ukrainische Armee große Erfolge feiern wird. Nach Ansicht des Pentagon könnte Kiew seine militärischen Ziele "weit verfehlen", heißt es in einem Bericht der "Washington Post". Grund dafür seien aus Sicht der USA Schwierigkeiten bei der Aufstockung von Truppen, Munition und Ausrüstung.

Die Einschätzungen aus den geleakten Papieren stammen vom Februar, teilweise vom März. Zweifel am Erfolg einer ukrainischen Offensive gibt es freilich schon länger. Militärexperten weisen etwa darauf hin, dass ein großer Teil der kampferfahrenen ukrainischen Soldaten gefallen ist - eine entscheidende Schwächung. Dazu kommt, dass die Ausbildung an westlichen Waffensystemen langwierig ist. Die Gefahr besteht, dass schlecht vorbereitete ukrainische Soldaten den Wert der gelieferten Panzer reduzieren. Das könnte nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums dazu führen, dass Kiew die ursprünglichen Pläne zur Rückeroberung der besetzten Gebiete weit verfehlt.

Russland vorerst gescheitert

Die Veröffentlichung der geleakten Dokumente ist für die Vereinigten Staaten und die Ukraine jedenfalls äußerst unangenehm, laut Washington stellen sie ein "sehr hohes Risiko für die nationale Sicherheit" dar. In Moskau ist man erfreut und hält die präsentierten Neuigkeiten für "einigermaßen interessant". US-Informanten innerhalb des russischen Sicherheitsapparates sind jetzt jedenfalls in hohem Maß gefährdet.

Das Investigativnetzwerk Bellingcat hat zwar nachgewiesen, dass die Dokumente zum Teil im Nachhinein manipuliert wurden. Vieles dürfte aber nach Informationen, die US-Medien erhalten haben, unverfälscht sein. So beinhalten die Geheimpapiere auch Informationen zu Waffenlieferungen an die Ukraine und sensible Angaben zum Munitionsverbrauch. Unter den Informationen befinden sich Landkarten, auf denen Standorte russischer und ukrainischer Truppenverbände und deren Mannschaftsstärke verzeichnet sind. Umfassende Details gab es auch zu Plänen der Nato und der USA, wie das ukrainische Militär auf die Offensive vorbereitet werden soll. Darüber hinaus seien Daten zu Anzahl und Art geplanter Waffenlieferungen sowie die voraussichtlichen Lieferdaten vermerkt.

Laut den geleakten Dokumenten konzentriert sich die ukrainische Strategie darauf, umkämpfte Gebiete im Osten zurückzugewinnen und gleichzeitig nach Süden vorzustoßen, um die russische Landbrücke zur besetzten Halbinsel Krim zu kappen. Dass das der Plan ist, vermutet die russische Seite seit geraumer Zeit, die Armee hat in die Tiefe gestaffelte Gräben ausgehoben. Diese Verteidigungslinien, die auf Satellitenbildern sichtbar sind, werden nach US-Sicht einen ukrainischen Vormarsch weiter erschweren.

Die Dokumente schaden der Ukraine und den USA in mehrfacher Hinsicht. Auch wenn sie keine konkreten Schlachtpläne enthalten, zeigen sie doch Art und Menge der westlichen Waffen, die auf den Schlachtfeldern der Ukraine angekommen sind, wie viele Soldaten sie bedienen können und wie sich die Ukraine gegen russische Angriffe verteidigen will. Die Leaks stellen ganz klar zusätzliche Gefahr für die Offensive der Ukraine und damit für die bevorstehende und entscheidende Phase des Konflikts dar, schreibt auch die italienische "La Repubblica".

Sollte die ukrainische Offensive nach geringen Anfangserfolgen tatsächlich stecken bleiben, dann droht im Krieg mit Russland ein langwieriges Patt. Denn auch die Angreifer sind in den letzten Wochen mit ihren Bemühungen, die Kontrolle über den Donbass zu erreichen, weitgehend gescheitert. Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow ist Mitte Jänner mit dem Ziel angetreten, im Zuge einer Winteroffensive beträchtliche Geländegewinne zu erzielen. Nach Angaben des britischen Geheimdienstes, der das Kampfgeschehen regelmäßig kommentiert und die Schwächen der russischen Seite offenlegt, ist Gerassimov gründlich gescheitert. Die russischen Streitkräfte an der Front hätten bei hohen Verlusten nur minimale Gewinne verzeichnen können. Damit hätten sie den vorübergehenden personellen Vorteil durch die russische "Teilmobilisierung" des vergangenen Herbsts weitgehend verspielt, so die Briten.

Kriegsverlauf völlig offen

In der Tat ist die heftig umkämpfte ukrainische Stadt Bachmut trotz permanenter Sturmangriffe noch immer nicht völlig in den Händen der russischen Angreifer. Es wird intensiv diskutiert, ob sich die hartnäckige Verteidigung aus Sicht der Ukrainer lohnt. Es scheint so zu sein, dass bei den Kämpfen fünf gefallene russische Soldaten auf einen getöteten Ukrainer kommen. Daher erscheint die Verteidigung sinnvoll, heißt es, weil große russische Kontingente um Bachmut gebunden würden, die dann zur effektiven Verteidigung anderer Frontabschnitte fehlten.

Stellt sich die Frage, was die russischen Angreifer unternehmen werden, um die weitgehend erstarrte Front aufzubrechen. Nach Ansicht des britischen Militärgeheimdienstes könnten künftig bei Offensivaktionen verstärkt Luftlandetruppen zum Einsatz kommen. Die in den ersten Kriegsmonaten von gravierenden Verlusten betroffenen Einheiten seien in den vergangenen Wochen mit dem Raketensystem TOS-1A ausgestattet worden, bekannt als "schwerer Flammenwerfer", heißt es hier.

Klar scheint, dass der weitere Kriegsverlauf weitgehend offen ist. Die meisten Militärexperten geben sich in ihren Prognosen derzeit bedeckt.(schmoe)