Ein Moment für die Geschichtsbücher: Die deutschlandweit letzten drei Atomkraftwerke sollen am Samstag vom Netz gehen. Die Abschaltung des letzten Werks wird kurz vor Mitternacht erwartet - welcher der Meiler Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 der letzte sein wird, ist unklar. Damit endet nach mehr als 60 Jahren die Stromgewinnung aus Atomkraft in Deutschland. Kernkraftgegner wollen das Ende in mehreren Städten mit Kundgebungen begleiten.
Während die Debatte politisch in den vergangenen Tagen immer wieder schwelte, haben sich die Betreiber lange im Voraus auf den Stichtag vorbereitet. Die Leistung der Reaktoren wird kontinuierlich gesenkt. Danach wird der Generator vom Stromnetz genommen und der Reaktor komplett abgeschaltet.
Die AKW hätten eigentlich schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise beschloss die Ampel-Koalition im vergangenen Jahr jedoch, die drei letzten Kraftwerke über den Winter weiterlaufen zu lassen. Am Samstag müssen sie nun entsprechend dem geänderten Atomgesetz endgültig heruntergefahren werden.
Vor rund 62 Jahren ging das erste kommerzielle Atomkraftwerk in Deutschland in Betrieb - am Samstag sollen nun die drei verbliebenen Meiler in Deutschland vom Netz gehen. Auch wenn das Zeitalter der Atomkraft hierzulande endet, schwelt die Debatte wenige Stunden vor Abschaltung der Kraftwerke weiter. Während Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ihre Erleichterung über den Schritt deutlich macht und Kernkraftgegner in mehreren Städten den Atomausstieg feiern wollen, bezeichnet die FDP diesen als "strategischen Fehler".
Politische Debatte noch nicht vorbei
Eigentlich hätten die AKW schon Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Das hatte die Koalition aus CDU/CSU und FDP als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossen. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine entschied die Ampel-Koalition im vergangenen Jahr jedoch, die drei Meiler über den Winter weiterlaufen zu lassen.
Obwohl der Ausstieg kurz bevorsteht, ist die politische Debatte um einen Weiterbetrieb der Meiler noch nicht vorbei. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte, diese Technologie nicht völlig aufzugeben. "Die Kernenergie muss auch nach dem Ausstieg eine Zukunft in Deutschland haben", sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Dazu gehört, dass wir die Forschung auf dem Gebiet der Kernfusion ausweiten und die Chancen neuer und sicherer Technologien der Kernspaltung nutzen."
Wenn es nach dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner ginge, sollten die drei Kernkraftwerke in der Reserve belassen und nicht zurückgebaut werden. "Wenn wir sie in den nächsten zwei, drei Jahren ans Netz bringen müssten, hätten wir diese Chance", sagte der Finanzminister am Freitagabend dem Fernsehsender Welt. Doch das scheitere am Koalitionspartner Grüne.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagte am Freitagabend im Interview der ARD-"Tagesthemen", er glaube an eine Neuauflage der Kernenergie. "Wir spüren diese große Energiekrise, wir brauchen jedes Fitzelchen Energie", sagte der CSU-Politiker. Die ARD sendete die "Tagesthemen" live vom Gelände des Kernkraftwerks Isar 2 in Niederbayern. In der 45-minütigen Sonderausgabe berichtete Moderator Ingo Zamperoni von seinem exklusiven Besuch in der Anlage.
Umweltministerin erleichtert
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein forderte mehr Forschung an neuen Technologien. "Der Ukraine-Krieg und die Energiekrise zeigen uns, dass wir uns breit aufstellen müssen. Wir müssen besonders angesichts des Atomausstiegs technologieoffen Forschung fördern. Nicht nur aussteigen, sondern auch mal einsteigen", sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Samstag).
Erleichtert blickt dagegen Deutschlands Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) auf das anstehende Ende der Kernenergie. "Der Atomausstieg macht Deutschland sicherer", sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. "Die Risiken der Atomkraft sind im Falle eines Unfalles letztlich unbeherrschbar."
Deutschlands früherer Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag), bei einem Weiterbetrieb der AKW bestehe die Gefahr, sich in eine erneute Abhängigkeit von Russland zu begeben. Die FDP müsse die Frage beantworten, ob sie "das Uran dann wieder aus Russland holen" wolle. "Wir haben uns gerade beim Gas aus der Abhängigkeit befreit. Dieses Geschäft möchte ich Putin nicht gönnen", sagte Trittin.
Mit der Abschaltung der drei Meiler fängt die eigentliche Arbeit am Atomausstieg erst an. "Wir haben etwa drei Generationen lang Atomkraft genutzt in unserem Land und dabei Abfälle produziert, die noch für 30.000 Generationen gefährlich bleiben. Diese Verantwortung übergeben wir an unsere Enkel, Urenkel und noch viele weitere Generationen", sagte Lemke mit Blick auf die anstehenden Aufgaben. Insgesamt müssen noch mehr als 30 Meiler in Deutschland zurückgebaut werden.
Für Greenpeace ein historischer Tag
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace sprach von einem "historischen Tag". In einer Aussendung wurde Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace in Österreich, Samstag früh so zitiert: "Das ist ein riesiger Meilenstein in Richtung erneuerbare Energien und einer sicheren und grünen Energiezukunft. Gleichzeitig droht Atomkraft aber in anderen EU-Ländern, wie Frankreich, unter dem Scheinargument Klimaschutz eine Renaissance zu erleben." Die Umweltschutzorganisation fordert deshalb das Ende der Kennzeichnung von Atomkraft als grüne Energie und hat dazu bereits eine Klage gegen die EU-Taxonomie in Vorbereitung. (apa)