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Die russische Verwundbarkeit

Politik

Der Krieg hat auch russisches Territorium längst erreicht. Davon zeugen die Absagen von Militärparden am 9. Mai.


Erneut hat es gebrannt: Im Süden Russlands ist zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit ein Großbrand in einem Tanklager nahe der Halbinsel Krim ausgebrochen. Das Feuer sei durch einen Drohnenangriff ausgelöst worden, berichtete die russische Staatsagentur Tass Donnerstagfrüh unter Berufung auf Rettungskräfte. Getroffen wurde demnach das Tanklager einer Ölraffinerie in der Ortschaft Ilski nahe dem Schwarzmeerhafen Noworossijsk in Südrussland.

Derartige Angriffe auf die kritische Infrastruktur Russlands haben sich in den vergangenen Tagen gehäuft: Am Wochenende wurde ein Treibstofflager auf der von Russland besetzten Halbinsel Krim in Brand gesetzt. Nach russischen Angaben wurden zehn Tanks mit einem Fassungsvermögen von rund 40.000 Tonnen durch einen Drohnen-Angriff zerstört. In der westrussischen Region Brjansk wiederum entgleisten kurz nacheinander zwei Güterzüge nach Explosionen.

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Die Ukraine vermeidet es, sich zu derartigen Angriffen zu bekennen und spricht lieber davon, dass hier russische Partisanen am Werk seien. Moskau indes schäumt. Das Land sei einer beispiellosen "Sabotage"-Welle der Ukraine ausgesetzt, verkündete das Außenministerium. "Die terroristischen Aktivitäten und die Sabotage durch die ukrainischen bewaffneten Kräfte erreichen ein beispielloses Ausmaß", hieß es. Bisher hatte Moskau diese Angriffe eher heruntergespielt.

Brutalisierung befürchtet

Im Hintergrund steht dabei der ominöse Drohnenanschlag auf den Kreml von Mittwochabend, der laut Russland ein Attentat auf Präsident Wladimir Putin darstellte. Die Ukraine bestritt, etwas mit dem Angriff zu tun zu haben. "Wir greifen weder Putin noch Moskau an, wir kämpfen auf dem eigenen Territorium und verteidigen unsere Dörfer und Städte", sagte Präsident Wolodymyr. Selenskyj. Am Donnerstag erhob Kreml-Sprecher Dmitri Peskow den Vorwurf, auch die USA hätten bei dem Angriff ihre Hände mit im Spiel, was diese als "lächerlich"zurückwiesen.

Es lässt sich nicht feststellen, ob die Aktion von der Ukraine ausging, eine russische Inszenierung war oder von - so eine weitere Theorie - russischen Oppositionellen verübt worden ist. Klar ist aber, dass die Ereignisse vor allem Russland dazu dienen, den Ton zu verschärfen. Nun gebe es "keine andere Variante als die physische Eliminierung Selenskyjs und seiner Clique", schrieb der frühere Präsident Dmitri Medwedew, der sich seit Beginn des Angriffskrieges als Scharfmacher hervortut, auf Telegram.

Er zählt damit zu den Stimmen, die nun fordern, auch bestimmte ukrainische Regierungsgebäude anzugreifen, was Russland bisher unterlassen hat. Außerdem muss die Ukraine nun fürchten, dass Russland seine Angriffe auf die zivile Infrastruktur, bei denen fortlaufend Zivilisten getötet werden, verschärft.

Gleichzeitig zeigen die vergangenen Tage auch - und dabei noch viel mehr die erfolgreichen Angriffe auf Russlands militärische Infrastruktur als die Drohen in Moskau - , dass auch Russland verwundbar ist und der Krieg bereits russisches Territorium erreicht hat.

Das hinterlässt Spuren, und die zeigen sich besonders deutlich bei den Vorbereitungen auf den 9. Mai. An diesem Tag feiert Russland traditionell den Sieg der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland mit einer großen Militärparade in Moskau und Aufmärschen im ganzen Land. Dass dieses Jahr nicht die großen Panzerkolonnen rollen werden, weil das Kriegsgerät in der Ukraine im Einsatz ist, war von Anfang an klar. Doch mittlerweile wurden auch schon eine Reihe von Feierlichkeiten in grenznahen Regionen zur Ukraine und auf der Krim abgesagt, weil die Behörden offenbar Sicherheitsbedenken haben.

Vor der Frühjahrsoffensive

Und auch in Moskau gelten höchste Sicherheitsvorkehrungen. Seit dem 27. April ist der Rote Platz bereits für die Vorbereitungen gesperrt. Auf alle Fälle soll Putin eine Rede halten. Die Ansprache des Präsidenten sei "obligatorisch", sagte Peskow.

Die Paraden fallen jedenfalls in eine Zeit größter Anspannung. Denn es steht eine Frühjahrsoffensive der Ukraine bevor, die Kiew auch schon angekündigt hat. Die Angriffe auf russischem Territorium, wenn Schienen zerstört und Treibstofflager in die Luft gejagt werden, sollen freilich die Versorgung des russischen Militärs treffen. Gleichzeitig sind sie auch Teil einer psychologischen Kriegsführung, die kurz vor der Offensive noch einmal für Verunsicherung auf russischer Seite sorgen soll.

Russland bereitet sich auf die zu erwartenden Angriffe bereits durch eine massive Verstärkung seiner Verteidigungslinien vor. Gleichzeitig wird befürchtet, dass Russland im Gegenzug noch einmal seinen Bombeterror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung erhöht.

Selenskyj forderte am Donnerstag bei einem Besuch beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, dass ein internationales Tribunal über Putin richtet. "Der Aggressor muss die ganze Macht der Justiz zu spüren bekommen", betonte er.(klh)