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Eine Jubelfeier sieht anders aus

Von Michael Schmölzer

Politik

Die Parade zum Sieg über Nazi-Deutschland in Moskau fand statt - das Ukraine-Fiasko konnte nicht ausgeblendet werden.


Keine Flugshow, keine modernen Kampfpanzer, kein "unsterbliches Regiment" - dafür beißende Kritik aus dem Mund des russischen Söldner-Chefs Jewgeni Prigoschin: Am Dienstag fand in Moskau die Feier zum Gedenken an den Sieg gegen Nazi-Deutschland vor 78 Jahren statt, die Rahmenhandlung dazu war aber wenig ruhmreich.

Dafür sorgte der Krieg in der Ukraine, der für Russland längst zum Fiasko geworden ist. Russische Armeesoldaten seien in Bachmut auf einer Breite von zwei Kilometern einfach davongelaufen, höhnte Prigoschin, der mit dem Verteidigungsministerium in Moskau im Clinch liegt. Seine Männer hätten die Lücke füllen müssen. "Warum ist der Staat nicht in der Lage, sein Land zu verteidigen?", so der Mann, der sich als "Putins Koch" einen Namen gemacht hat.

Zeitgleich nahm Kremlchef Wladimir Putin in Moskau die Parade ab - eine deutlich reduzierte Veranstaltung mit 8.000 im Stechschritt marschierenden Soldaten Das sei eine Siegesfeier der Großväter, ätzte Prigoschin, im Kampf gegen die Ukraine sei man einem derartigen Erfolg mit keinem Millimeter näher gekommen.

Meilenweit kein Sieg in Sicht

Eine wahre Jubelfeier sieht in der Tat anders aus, wäre unter den derzeitigen Umständen aber selbst in Putins Propagandastaat völlig deplatziert. Die russische Armee ist in der Ukraine von einem Sieg meilenweit entfernt, ob die Niederlage nahe ist, bleibt abzuwarten.

Die oft eilig und unter fragwürdigen Umständen zusammengetrommelten, schlecht ausgebildeten und demotivierten russischen Soldaten warten auf den Beginn der ukrainischen Frühjahrsoffensive, die jederzeit starten kann. Vor mehr als 80 Jahren war es die Sowjetunion, die nach den Angriff Nazi-Deutschlands um ihr Überleben kämpfte. Jetzt ist es die Ukraine, die sich verbissen gegen eine komplette Einverleibung durch den riesigen Nachbarn wehrt. Die russischen Verluste an Material, Offizieren und Soldaten sind hoch. Und Kiew wird vom Westen mit Kriegsmaterial versorgt.

Trotzdem hat man am Dienstag in Moskau genug Soldaten für die Parade zusammengetrommelt, einige, die da mitmarschierten, haben angeblich in den letzten Monaten in der Ukraine gekämpft.

Einer der wenigen "Siege" der Veranstaltung bestand darin, dass sie überhaupt stattfand. Das war fraglich, nachdem in der Nacht auf Mittwoch zwei angeblich ukrainische Drohnen den Kreml erreicht hatten und abgeschossen wurden. Man entschied sich für die Abhaltung der Parade, die Sicherheitsvorkehrungen waren entsprechend hoch. Der Himmel war klar, doch anders als sonst donnerten keine Kampfjets über die russische Hauptstadt. Die Angst, dass eine der Maschinen abgeschossen werden oder ein anders Unglück passieren könnte, war zu groß.

An Militärtechnik wurden vor allem gepanzerte Radfahrzeuge präsentiert. Kampfpanzer fehlten, mit Ausnahme des historischen T-34. Offiziell gab es dazu keine Erklärung. Aber natürlich weiß jedes Kind, dass alles, was es an einsatzfähigem Gerät gibt, an der Front ist - auch wenn es sich bei dem Krieg in der Ukraine offiziell immer noch um einen "Spezialoperation" handelt. Kampfpanzer waren jedenfalls traditionell Teil der Parade am Roten Platz. In den vergangenen Jahren wurde vor allem das neueste Panzer-Modell Armata (T-14) präsentiert. Im April hatten russische Medien darüber berichtet, dass der Armata erstmals in Russlands Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werde.

Putin sieht eine "Wende"

Putin hielt eine Rede, die nahelegen soll, dass Russland, wie die Sowjetunion vor über 80 Jahren, Opfer eins Angriffs wurde. "Gegen unser Vaterland wurde ein echter Krieg entfesselt", so der Präsident. Und man sei "stolz auf die Teilnehmer der militärischen Spezialoperation in der Ukraine". Es gebe nichts Stärkeres als die Liebe der Russen zum Vaterland.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass Putin den Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 selbst angeordnet hat, weil die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine durch die Regierung in Kiew angeblich unterdrückt wurde. Putin behauptete am Dienstag einmal mehr, dass Russland vom Westen bedroht wurde. "Aber wir haben den internationalen Terrorismus zurückgeschlagen, wir werden die Einwohner des Donbass beschützen und wir werden unsere Sicherheit gewährleisten."

Putin sprach hoffnungsfroh von einem "entscheidenden Wendepunkt", an dem sich sein Land befinde. Die Ukraine sei zur "Geisel" westlicher Staaten geworden, die Russland zerstören wollten. "Ihr Ziel besteht (. . .) im Zerfall und in der Zerstörung unseres Landes."