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"Kickl ist nicht mehr vertrauenswürdig"

Von Walter Hämmerle

Politik
"Niemand, der jetzt mit am Entscheidungstisch sitzt, hat jemals einen Krieg erlebt", betont Metsola bei dem Gespräch mit Walter Hämmerle (l.) und Lukas Mandl (r.).
© Philipp Hutter

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und Parlamentarier Lukas Mandl über "Putins Freunde" in den eigenen Ländern.


"Wiener Zeitung": Wie fast alle europäischen Spitzenpolitiker haben auch Sie appelliert, dass Europa einig im Konflikt mit Russland bleibt. Wie sehr ist diese Einigkeit gefährdet?Roberta Metsola: Ich habe vom ersten Tag der russischen Invasion an betont, wie wichtig unsere Einigkeit ist. Einfach weil - egal, ob es sich um eine Gesundheitskrise wie in der Pandemie, eine Energiekrise wie im Winter oder, noch existenzieller, einen Krieg auf dem eigenen Kontinent handelt - wir all diese Herausforderungen nicht ohne ein gemeinsames Europa bewältigen können. Deshalb betone ich die Bedeutung von Europas Einigkeit nicht, weil wir zu wenig davon hätten, sondern erstens, weil die Ukrainer ihr Leben geben, und zweitens, weil wir in der Unterstützung für diese Menschen nicht zulassen dürfen, dass uns andere Themen wie Migration, die hohen Energiepreise oder die Inflation ablenken.

Was sind Europas konkreten Ziele in diesem Konflikt, was wollen wir mit allen unseren Maßnahmen erreichen?Metsola: Alles zu tun, das notwendig ist. Niemand, der jetzt mit am Entscheidungstisch sitzt, hat jemals einen Krieg erlebt. Wie schon in der Pandemie stehen wir erneut vor einer gänzlich neuen Situation. Natürlich wird die Liste der ukrainischen Forderungen an uns, um den Krieg zu gewinnen, immer länger, natürlich wird es zusehends mühsamer, an der Sanktionsschraube zu drehen, aber wir dürfen nicht vergessen: Wladimir Putin rechnete damit, binnen fünf Tagen gewonnen zu haben, doch auch nach 15 Monaten ist der Widerstand der Ukraine ungebrochen. Deshalb müssen wir alles tun, um sicherzustellen, dass wir niemals von der Seite dieses Landes weichen, weil die Menschen dort für ihre und unsere Freiheit sowie gemeinsamen Werte kämpfen.

Nach Russland und der Ukraine werde Europa der große Verlierer dieses Konflikts sein - wirtschaftlich und geopolitisch: Das war die einhellige Meinung vieler Sicherheitsexperten. Stimmen Sie dem zu?Metsola: Der Krieg, die Sanktionen, die Inflation stellen die EU vor riesige Herausforderungen, das kann man unmöglich bestreiten, aber ebenso richtig ist: Geostrategisch hatten wir keine Alternativen. Es ist uns gelungen, unsere Flanke im Osten zu stärken, im Norden werden mit Schweden und Finnland zwei Staaten der Nato neu beitreten. Der Weckruf für Europa war der überstürzte Abzug der USA aus Afghanistan im Sommer 2021 ohne Rücksicht auf ihre europäischen Verbündeten. Das hat uns gezeigt, dass wir die Lösung globaler Probleme nicht länger anderen überlassen können, vor allem nicht, wenn die Herausforderungen auf unserem eigenen Kontinent liegen.

Die britische Wochenzeitung "The Economist" hat Österreich und seine besonderen russischen Beziehungen kürzlich kritisch beleuchtet. Vor allem die FPÖ fordert das Aus für die Sanktionen und übt damit Druck auf die anderen Parteien aus.Lukas Mandl: Eine deutliche Mehrheit der österreichischen Abgeordneten sowohl im EU-Parlament als auch im Nationalrat steht hinter den Sanktionen und unterstützt die Ukraine in ihrem Freiheitskampf. Wir sehen uns aktuell vier apokalyptischen Reitern neuer Art gegenüber: Krieg, Inflation, geopolitische Konfrontation und interne Spaltung durch russische Propaganda. Russland unter Wladimir Putin will nicht verhandeln, das müssen wir uns immer wieder vor Augen halten.

Obwohl die FPÖ ihren Kritikern als fünfte Kolonne Moskaus gilt, geht die Kanzlerpartei ÖVP in Niederösterreich und jetzt auch in Salzburg neue Koalitionen mit ihr ein und schließt auch ein Bündnis nach der Nationalratswahl 2024 nicht aus.Mandl: Ich war der Erste, der die FPÖ bereits 2014 nach der Annexion der Krim als "Freunde Putins in Österreich" bezeichnet hat. Dazu stehe ich auch weiterhin, einfach, weil es den Tatsachen entspricht. Was die Bündnisse auf Bundesländerebene angeht, so muss man sich die handelnden Personen auf FPÖ-Seite genau anschauen. Was ich mit großer Sicherheit bezweifle, ist, dass FPÖ-Obmann Herbert Kickl auf Bundesebene jemals wieder ein Regierungsamt übernehmen kann. Er ist dafür schlicht nicht mehr vertrauenswürdig.

Ist Österreich für Sie ein vertrauenswürdiger Partner in Sachen Russland?Metsola: Ich habe am Donnerstag in Wien die jüdische Gemeinde besucht. Nach dem Februar 2022 haben deren 8.000 Mitglieder mehr als tausend geflüchteten jüdischen Ukrainern Unterkunft und Hilfe geboten, heute sind es immer noch mehr als 900. Ganz Österreich beherbergt mehr als 80.000 ukrainische Flüchtlinge. Diese Solidarität ist beispielhaft für ganz Europa. So gesehen: Ja, die konstruktiven Kräfte Österreichs sind ein verlässlicher Partner.

Im Juni 2024 stehen die Wahlen zum Europäischen Parlament an. Sollte Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen noch einmal antreten, wird sie dann auch Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei?Metsola: Eine der Aufgaben des Parlaments ist es, die Kommission zu kontrollieren und zur Rechenschaft zu ziehen, und wir nehmen diese Aufgabe sehr ernst. Ich habe bereits gesagt, dass Ursula von der Leyen meiner Meinung nach sehr gute Arbeit geleistet hat. Sollte sie also weitermachen wollen, bin ich davon überzeugt, dass sie große Unterstützung finden wird.

Falls nicht, würde Sie das Amt der Kommissionspräsidentin reizen?Metsola: Ich habe derzeit als Parlamentspräsidentin eine wichtige Aufgabe, die ich gerne weiter ausfüllen möchte.

Fraktionschef Manfred Weber will die Reihen der EVP stärken, indem er etwa die EU-Abgeordneten der postfaschistischen "Fratelli d’Italia", der Partei der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni, umwirbt. Das betrachten manche im EU-Parlament mit Argwohn?Mandl: Im EU-Parlament war die Zusammensetzung der Parteifamilien schon immer ein dynamischer Prozess. Grundsätzlich unterstütze ich Weber bei seinem Zugang, mit anderen Parteien zu reden, insbesondere im Fall von Meloni als Person und Premierministerin. Bis dato hat sie, sehr zur Überraschung vieler Beobachter, einen guten und für Europa konstruktiven Job als Regierungschefin dieses wichtigen EU-Mitglieds gemacht. Was eine Aufnahme ihrer in Teilen nach wie vor problematischen Partei in die EVP angeht, bin ich für Gespräche, aber ergebnisoffene.

Zu den Personen

Roberta Metsola ist eine maltesische Politikerin der konservativen Partit Nazzjonalista. Seit dem 18. Jänner 2022 ist sie Präsidentin des EU-Parlaments.

Lukas Mandl ist seit 2017 Mitglied des EU-Parlaments. Davor war der ÖVP-Politiker Abgeordneter im Landtag von Niederösterreich.