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Nato verstärkt ihre Präsenz im Kosovo

Politik

Nach Ausschreitungen im Norden des Landes wird eine weitere Gewaltspirale befürchtet.


Steine und Schlagstöcke prasseln auf die Schutzschilde. Den Soldaten steht eine aufgebrachte Menge gegenüber; halb vermummte Männer drängen gegen die menschliche Mauer aus Uniformierten. Auf einem kurzen Video sind die Ausschreitungen zu sehen, die den Nordkosovo seit Tagen wieder aufwühlen. Zwar hat sich die Lage am Dienstag kurzfristig beruhigt, doch zurück bleiben Verletzte, verbrannte Autos, verwüstete Straßenzüge - und die Frage, wann die Gewalt wieder eskaliert.

Denn der mehrheitlich von Serben bewohnte Norden des Kosovo kommt nicht zur Ruhe. Vor einigen Monaten war es ein Streit um Kfz-Kennzeichen, der zu Protesten und Grenzblockaden führte, und nun sorgen die Folgen der Lokalwahlen für Unmut. Den - auch wegen Zwistigkeiten verschobenen - Urnengang Ende April hatten die Serben boykottiert, und daher haben die albanischen Kandidaten die meisten Stimmen erhalten. Doch als die demokratisch bestimmten Bürgermeister ihre Posten übernehmen wollten, brauchten sie Polizeischutz: Serben haben die Eingänge zu den Gemeindeämtern abgeriegelt. Es kam zu Ausschreitungen; zwei Dutzend italienische und ungarische Soldaten der internationalen Kfor-Friedenstruppen wurden verletzt, ebenso rund 50 Serben.

Die Nato ordnete bereits die Aufstockung ihrer Truppen an, die derzeit an die 3.700 Mann umfassen. Aus Militärkreisen in Brüssel hieß es, zusätzlich werde ein Kontingent von etwa 700 Mann entsandt.

Rufe nach "Deeskalation"

Auch am Dienstag versammelten sich etwa in der Stadt Zvecan Menschen vor dem Gemeindeamt, das von Kfor-Soldaten gesichert wurde. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters waren außerdem Bulldozer im Einsatz, um mögliche Barrikaden zu beseitigen. Das österreichische Bundesheer, das derzeit mit 273 Soldaten im Kosovo vertreten ist, hat den Truppenschutz erhöht und "beobachtet mit geschützten Fahrzeugen und dementsprechender persönlicher Schutzausrüstung die weiteren Lageentwicklungen in den betroffenen Regionen", teilte das Verteidigungsministerium mit.

So wie in Wien wurde auch in Brüssel, Berlin, Paris und Washington zur "Deeskalation" aufgerufen. Aus dem Außenministerium in Moskau hingegen kam der Appell, der Westen möge endlich aufhören, die Serben für Vorfälle im Nordkosovo verantwortlich zu machen.

In der Region selbst gab es gegenseitige Anschuldigungen. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic machte die kosovarische Regierung von Premier Albin Kurti für die Eskalation verantwortlich. Kurti wiederum sprach von "Extremisten in der Regie Belgrads".

Die beiden Politiker hatten erst vor kurzem unter EU-Vermittlung Gespräche zur Normalisierung ihrer Beziehungen geführt. Doch der Konfliktstoff blieb. Serbien erkennt die Unabhängigkeit seiner ehemaligen Provinz bis heute nicht an, und die Versuche des Kosovo, staatliche Institutionen auf dem gesamten Territorium zu stärken und nicht zuletzt alle seine Bürger den Gesetzen zu verpflichten, werden sabotiert. Im Norden sind von Belgrad finanziell und politisch unterstützte Parallelstrukturen entstanden, gegen die die kosovarischen Behörden vorgehen - was wiederum Vorwürfe aus Serbien nach sich zieht. Dieses habe nun seine Streitkräfte in höchste Gefechtsbereitschaft versetzt, verkündete Verteidigungsminister Milos Vucevic.

Präsident Vucic unter Druck

Der Minister hatte erst vor wenigen Tagen von Vucic den Vorsitz der nationalistischen Regierungspartei SNS übernommen. Denn der Präsident steht auch innenpolitisch unter Druck. Am Wochenende ist es zu einer Großdemonstration gegen Vucic und dessen Partei gekommen, und es war nicht die erste seit Anfang Mai, als bei zwei Amokläufen 18 Menschen getötet wurden. Nach Ansicht der Protestierenden geht die Regierung nicht entschieden genug gegen Gewalt, gegen den im Land verbreiteten privaten Waffenbesitz und gegen die organisierte Kriminalität vor. Außerdem werden Korruption und eine Beschränkung der Medienfreiheit angeprangert.

Kurz vor der Großdemonstration versammelte Vucic seinerseits Zehntausende Anhänger und kündigte seinen Rücktritt vom SNS-Vorsitz an. Danach wurde bei einem Parteitag der Führungswechsel, so wie vom Staatschef vorgeschlagen, vollzogen. Vucic, dem Kritiker einen autokratischen Politikstil vorwerfen, stand seit 2012 an der Parteispitze; seit 2017 ist er Staatspräsident. Die SNS gilt als Stütze seiner Macht. Zu seinen Gefolgsleuten dort zählt neben Premierministerin Ana Brnabic - Verteidigungsminister Vucevic. (czar)