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Erdogans beinharter Stratege

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Als Geheimdienstchef war Hakan Fidan der Mann für die Spezialoperationen. Nun ist er neuer Außenminister der Türkei.


Er ist der bekannteste Unbekannte der türkischen Politik. In seiner langen Karriere hat der mächtige Mann nie ein offizielles Interview gegeben. Obwohl jeder in der Türkei seinen Namen kennt, weiß die Öffentlichkeit praktisch nichts über seine Lebensumstände, seine Frau, seine Kinder. Jetzt aber tritt er aus der Schattenwelt der Spionage auf die Weltbühne. Hakan Fidan, seit 2010 Chef des türkischen Geheimdienstes MIT, ist der neue Außenminister der Türkei. Im Kabinett nimmt damit einer der engsten Vertrauten des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogans eine Schlüsselrolle ein.

Erdogan bezeichnete den graubärtigen Mittfünfziger einmal als seinen "obersten Geheimnisschützer". In einigen Porträts wird er als konziliant und umgänglich bezeichnet. Doch der Schein trügt.

Fidan ist ein Falke, der vor brutalsten Methoden bei der Jagd auf Regimekritiker nicht zurückschreckt, sagen Kritiker. Während der scheidende Außenminister Mevlüt Cavusoglu die öffentliche Bühne mit seiner freundlich-cholerischen Art bespielte, zog Fidan die Fäden im Hintergrund.

Exzellente Kontakte

Unbestritten ist, dass Fidan diplomatisches Geschick besitzt und international über exzellente Kontakte verfügt. Er ist einer der Architekten von Erdogans außenpolitischer Agenda der "strategischen Autonomie" zwischen den geopolitischen Blöcken. "Ich werde die Vision der nationalen Außenpolitik weiter vorantreiben", sagte er bei seiner Vereidigung.

Der außenpolitische Stratege beherrschte als Spionagechef der Türkei stets das geheimdienstliche Doppelspiel. So wie er gute Beziehungen zum schiitischen Iran unterhielt, während er gleichzeitig sunnitische Extremisten in Syrien aufrüstete, hielt er die MIT-Kontakte zwischen der Türkei und Israel aufrecht, als sich die Beziehungen beider Länder extrem abkühlten. Fidan gilt nicht nur als Strippenzieher der türkischen Politik in Syrien, sondern auch in den Konflikten in Libyen, im Irak und im Kaukasus. Bei wichtigen Reisen begleitete er Erdogan nach Washington, Moskau oder Peking. Er hielt enge Kontakte zu Kiew und Moskau, um im Ukraine-Konflikt zu vermitteln. Seit 2020 versucht er über Russland, das Verhältnis zum Assad-Regime in Bagdad zu entspannen, um die ungeliebten syrischen Geflüchteten aus der Türkei nach Hause zu schicken.

Fidan begann seine berufliche Laufbahn in den 1990er Jahren als Offizier der türkischen Armee, in der er 15 Jahre diente, darunter drei Jahre beim "Schnellen Krisenreaktionsteam" der Nato. Nach dem Ausscheiden aus dem Militär 2001 studierte er Internationale Beziehungen und promovierte in Ankara. Während und nach dieser Zeit machte er eine steile bürokratische Karriere, die ihn 2007 als Vize-Staatssekretär zum damaligen Ministerpräsidenten Erdogan führte, zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik. 2010 machte ihn Erdogan zum Chef des Geheimdienstes MIT.

Fidan wusste vom Putsch

Seine erste große Mission führte Fidan ab 2009 nach Oslo als Koordinator der geheimen Friedensgespräche mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Selbst kurdischer Abstammung, überwachte er ab 2012 den offiziellen Friedensprozess in der Türkei und koordinierte nach dessen Zusammenbruch 2015 die militärische Offensive gegen die PKK in den Kurdengebieten, auch im Nordirak und in Nordsyrien.

Der Friedensprozess hätte Fidan allerdings im Februar 2012 fast seine Karriere gekostet. Damals fühlte sich die mit Erdogans islamischer Regierungspartei AKP verbündete Gülen-Sekte stark genug, wegen der PKK-Frage den Machtkampf mit Erdogan zu wagen. Die Gülen-nahe Generalstaatsanwaltschaft versuchte, Fidan als "Terrorverdächtigen" festzunehmen, bis Erdogan ihn aus der Schusslinie nahm. Der Konflikt gipfelte im von Gülenisten geführten Putschversuch von Teilen des Militärs im Juli 2016.

Fidan hatte frühzeitig Kenntnis vom geplanten Staatsstreich, ergriff aber zunächst keine Maßnahmen. Trotz des Versagens blieb er Geheimdienstchef, da ihm Erdogan als klarem Gülen-Gegner vertraute. Der Präsident ließ ihm freie Hand bei der brutalen "Säuberung" des Staatsapparats und der Verfolgung der Gülenisten - weltweit. Fidan ließ mehr als 100 angebliche "Staatsfeinde" aus verschiedenen Ländern verschleppen und in die Türkei bringen.

Will USA nicht vergraulen

Schon vor dem Putschversuch koordinierte der MIT-Chef die geheime türkische Syrienpolitik und rüstete Al-Kaida-nahe Islamisten im Nachbarland mit Waffen und Munition aus. Das "Wall Street Journal" zitierte den früheren US-Botschafter in der Türkei, Jim Jeffrey, 2013 mit den Worten, Fidan sei der "eigentliche Antreiber hinter der Bewaffnung der radikalen islamischen Gruppen, die das Assad-Regime in Syrien bekämpfen". Beweise lieferte die unabhängige Zeitung "Cumhuriyet" im Mai 2015. Tatsächlich integrierte Fidan in Syrien berüchtigte Islamisten in die türkische Besatzerarmee, versorgte sie mit Waffen und setzte sie als Söldner in Syrien, Libyen und im Kaukasus ein.

Erdogans mächtigem Schattenmann werden zahlreiche weitere Geheimoperationen zugeschrieben. So warfen ihm die Israelis vor, er habe 2012 einen israelischen Spionagering in der Türkei an die Iraner verraten. Doch achtete Fidan stets darauf, dass die geheimdienstliche Zusammenarbeit mit den USA keinen ernsthaften Schaden nahm.

"Hakan Fidan ist ein starker Politiker, der seine eigene strategische Vision für die Türkei hat", sagt Suat Kiniklioglu, früherer Direktor der Strategie-Denkfabrik Stratim in Ankara. "Er wird daran interessiert sein, die strategische Ausrichtung der Türkei weiter zu beeinflussen, wie er es in der Vergangenheit als MIT-Chef getan hat. Ich glaube nicht, dass er sich strikt in eine Richtung festlegt. Er wird das nationale Interesse der Türkei so gut verfolgen, wie er es für richtig hält."