Turin. (rs) Es geht diesmal nicht um die Umgestaltung eines altehrwürdigen Kopfbahnhofs und der Protest findet auch noch nicht einen annähernd so breiten Niederschlag. Im norditalienischen Susa-Tal riecht es aber dennoch unzweifelhaft nach Stuttgart 21. Auch hier soll eine neue Trasse der Bahn bessere Anbindungen, kürze Fahrzeiten und mehr ökonomische Effizienz verschaffen. Auch hier geht es um Investitionssummen in Höhe von hunderten Millionen Euro. Und auch hier eskaliert der ursprünglich friedliche Protest der Bürger und Anrainer in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht.
Vor allem seit Ende Juni nahe der Gemeinde Chiomonte mit den Bauarbeiten an einem besonders umstrittenen 7,5 Kilometer langen Tunnelabschnitt begonnen wurde, werden die Zusammenstöße immer heftiger. Am Sonntag waren mindestens 188 Polizeibeamte, mehrere Demonstranten und ein Bauarbeiter verletzt worden, als der Protest von 6000 Trassen-Gegnern in eine Straßenschlacht ausartete. Laut Polizei hatten einige Kundgebungsteilnehmer Steine und Knallkörper auf die Beamten geworfen. Mehreren Demonstranten soll es zu dem gelungen sein, die Zäune an der Tunnelbaustelle in Chiomente zu überwinden. Die Polizei setzte daraufhin Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen. Bereits am vergangenen Montag war es zu ähnlichen Ausschreitungen gekommen, bei denen fast 30 Menschen - auch hier vor allem Polizisten - verletzt wurden.
Laut Polizei befinden sich unter den Demonstrationsteilnehmern aber zunehmend Gruppen, die unmittelbar gar nichts mit dem Bauprojekt zu tun haben, sondern primär von der Möglichkeit angezogen werden, Gewalt ausüben zu können.
Die alteingesessenen und im Susa-Tal verwurzelten Trassengegner wie die Plattform "NO TAV" bekämpfen das Projekt hingegen schon, seit Italien und Frankreich vor 22 Jahren damit begannen, eine Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Turin und Lyon zu planen. Mit dieser Strecke, auf der auch der französische Superschnellzug TGV verkehren soll, will man den transeuropäischen Bahnkorridor von Lissabon nach Kiew schließen. Dadurch würde sich etwa die Bahnfahrt zwischen Paris und Mailand von sieben auf vier Stunden verkürzen. Aus diesem Grund fördert auch die EU das insgesamt 15 Milliarden Euro schwere Projekt mit mehreren hundert Millionen.
Für den Großteil der 50.000 Bewohner des Alpentales stellt die Trasse hingegen ein Projekt dar, das nicht nur zu teuer ist und die Umwelt belastet, sondern schlichtweg gar nicht gebraucht wird. NO TAV zufolge wird die 2011 modernisierte Bahntrasse durch das Susa-Tal nur zu 30 Prozent ausgelastet.