Istanbul. Die Welt ist um einen Krisenschauplatz reicher: das östliche Mittelmeer. Die Türkei lässt dort die Muskeln spielen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will die türkische Kriegsmarine auffahren lassen und kündigte an, dass Schiffskonvois mit Hilfsgütern für die Palästinenser im Gaza-Streifen künftig gegen israelische Angriffe geschützt würden. Jetzt bringen die Türken auch in einem Streit mit Zypern um Gasvorkommen unter dem Meeresboden ihre Marine ins Spiel.
Mehrere türkische Kriegsschiffe befänden sich in der Region, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der die Zyprioten des "Wahnsinns" bezichtigte. Insgesamt sollen acht türkische Fregatten in dem Gebiet eingesetzt werden. Auch die Israelis sollen Marineverbände bereit halten.
Riesige Energievorräte und Streit um Geld, Macht und Reichtum sind der Auslöser der neuen Spannungen. Die Regierung der international anerkannten Republik Zypern im griechischen Sektor der geteilten Insel hat bereits mit Probebohrungen begonnen. Das Gasfeld "Block 12" südlich von Zypern wird von der US-Firma Noble Energy erforscht und enthält nach zypriotischen Schätzungen bis zu 280 Milliarden Kubikmeter Gas. Es liegt in unmittelbarer Nähe des noch größeren israelischen Leviathan-Gasfelds mit geschätzten 453 Milliarden Kubikmetern.
Zum Ärger der Türkei hatten Zypern und Israel im vergangenen Jahr ein Abkommen zur Festlegung ihrer Seegrenzen geschlossen, um Streit bei der Verteilung der Reichtümer auszuschließen. Beide Länder können auf hohe Einnahmen durch die Gasvorräte hoffen - und die wertvolle Ressource an der Türkei vorbei nach Europa schicken. Dies wäre ein schwerer Rückschlag für das Ziel der Türkei, ein Verteilungsknoten für die Energieversorgung des Westens zu werden.
Durch den ungelösten Zypern-Konflikt erhält die Lage eine weitere gefährliche Dimension. Die Türkei sieht in den zypriotischen Probebohrungen eine Provokation, weil der erwartete Geldsegen nur den Griechen auf der geteilten Insel nützen würde, nicht aber den Türken in dem seit 1974 von der türkischen Armee okkupierten nördlichen Inselteil .
Ihren Anspruch, eine Aufsichtsfunktion in dieser Angelegenheit zu erfüllen, leitet die Türkei von ihrem Status als Garantiemacht für Zypern aus dem Jahr 1960 ab. Zusammen mit Griechenland und der Ex-Kolonialmacht Großbritannien hatte Ankara damals eine Schutzfunktion übernommen. Heute versteht die Türkei dies vor allem als Auftrag, für den international nicht anerkannten türkischen Inselteil einzutreten. Die griechischen Zyprioten argumentieren dagegen, ein illegaler Staat wie die Separatadministration "Türkische Republik Nordzypern" (KKTC) habe keinerlei Rechte, die verletzt werden könnten.
Die Eskalation scheint nicht aufzuhalten zu sein. Dervis Eroglu, der Chef der türkischen Zyprioten, bat den zypriotischen Präsidenten Demetris Christofias nach eigenen Angaben im Rahmen der derzeitigen Gespräche über eine Wiedervereinigung der Insel, mit den Probebohrungen bis Ende Oktober zu warten. Dann wollen die beiden Volksgruppen zusammen mit der UNO versuchen, einen Durchbruch zu erzielen. Auch die EU habe Christofias gebeten, die Probebohrungen noch etwas aufzuschieben. Doch die griechischen Zyprioten hätten partout nicht warten wollen, erklärte Eroglu.
Auch die USA konnten den Konflikt zwischen der Türkei und Zypern bisher nicht entschärfen. Erdogan sagte in der Nacht auf Mittwoch nach einem Gespräch mit US-Präsident Barack Obama am Rande der UNO-Vollversammlung in New York, den Zyprioten gehe es offenbar auch darum, die Annäherung zwischen der Türkei und Griechenland zu sabotieren. Schließlich stehe eine Sitzung eines erst kürzlich geschaffenen türkisch-griechischen Gremiums für die strategische Zusammenarbeit an. Deshalb sei das Verhalten der Zyprioten "Wahnsinn".
Auch die Türkei beginnt nun mit seismischen Untersuchungen des Meeresbodens in der Nähe des türkischen Teils von Zypern. Eine rein politische Maßnahme, denn in diesem Gebiet wird kein Gas vermutet. Demonstrativ lässt Erdogan die türkischen Forschungsschiffe von Fregatten der Kriegsmarine begleiten. Die türkische Luftwaffe soll ein Auge auf die griechischen Bohrungen halten, zudem ist laut Presseberichten der Einsatz von U-Booten geplant. Die Türkei werde mit Blick auf die zypriotischen Aktivitäten "jede Art von Vorkehrungen" treffen, sagte Erdogan. Im östlichen Mittelmeer beginnt ein heißer Herbst...