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Borissow will die ganze Macht

Von WZ-Korrespondent Frank Stier

Politik

GERB-Kandidat Plewneliew tritt gegen Sozialisten Iwailo Kalfin an.


Sofia.Boulevard Dondukov 1 und 2 lauten die wichtigsten politischen Adressen Bulgariens im Zentrum der Hauptstadt Sofia. Die erste beherbergt das Büro von Ministerpräsident Bojko Borissow von der rechtsgerichteten Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB). Ihm gegenüber residiert Staatspräsident Georgi Parwanow; der Sozialist amtiert seit 2001 und darf nach zwei Amtszeiten nicht wieder kandidieren. Werden in Zukunft an den Schreibtischen in Dondukov 1 und 2 nur noch GERB-Vertreter sitzen und wird damit die ganze Macht in der Hand einer Partei liegen? Darüber haben am Sonntag knapp 3,5 Millionen Wahlberechtigte in dem 6,9-Millionen-Einwohner-Land zu entscheiden.

Wenn die etwas mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten in Sofia und in der Provinz zur Urne schreiten werden, haben sie außer ihren neuen Staatspräsidenten auch Bürgermeister und Gemeindevertreter zu bestimmen. Interessant wird sein, ob Jordanka Fandukova für GERB Bürgermeisterin in Sofia bleiben und GERB die beiden Großstädte Plowdiw und Warna erobern kann. "Vielleicht sind die Lokalwahlen noch wichtiger als die Präsidentschaftswahlen", sagte kürzlich ein Wahlbeobachter. Der Wahlgang wird das vorläufige Ende eines lauen Wahlkampfes markieren.

Favorit für das Präsidentenamt ist der bisherige Regionalentwicklungsminister im GERB-Kabinett, Rossen Plewneliew. Er dürfte im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit aber verfehlen und sich am 30. Oktober 2011 einer Stichwahl stellen müssen. In ihr wird er vermutlich auf den Sozialisten und früheren Außenminister Iwailo Kalfin treffen, dem mehr Zuspruch prognostiziert wird als der unabhängigen Ex-EU-Kommissarin Meglena Kuneva.

Unter den restlichen, als chancenlos erachteten fünfzehn Kandidaten gibt es schrille Figuren wie Wolen Siderow, den immer für einen Skandal guten Führer der nationalistischen Partei Ataka. Über Prominenz verfügt auch der Geschäftsmann Alexej Petrow alias Traktora, der im letzten Jahr noch als angeblicher "Kopf der Mafia" in Untersuchungshaft saß.

Bei den Kommunalwahlen 2007 hatte sich Bojko Borissows Partei GERB zum ersten Mal zur Wahl gestellt. Sie ist aus diesem und allen folgenden Urnengängen als Siegerin hervorgegangen. GERB lebt dabei vor allem vom Charisma ihres Vorsitzenden, weniger von ihrem Parteiprogramm. Könnten die Wahlen am Sonntag nun den Wendepunkt in Borissows steiler Karriere bringen? Manche Meinungsforscher schließen eine Überraschung nicht aus, halten eine Abstrafung der Regierung durch das unzufriedene Wahlvolk für möglich.

"Nun werdet ihr mich nicht mehr fragen, ob ich für das Präsidentenamt kandidiere", wies Borissow Anfang September bei der Präsentation seines Kandidaten Plewneliew Journalisten zurecht. Monatelang war darüber spekuliert worden, ob der einstige Bodyguard des letzten KP-Führers Todor Schiwkow aufgrund seiner hohen Popularitätswerte auf Nummer sicher gehen und sich selbst in den Ring werfen würde. "In fünf Jahren stelle ich mich selber zur Wahl", sagte er schließlich, degradierte so seinen Kandidaten Plewneliew bewusst oder unbewusst zum Übergangskandidaten.

Vier Wochen hatte der sich gern als apolitischer Technokrat gebende Plewneliew Zeit, aus Borissows Schatten zu treten und sich für höhere Staatsämter zu empfehlen. Es ist ihm dies nach allgemeiner Einschätzung nicht gelungen, eher hat sich der Verdacht erhärtet, dass er nur als Statthalter Borissows fungiert. Als Bulgarien Ende September über Tage hinweg von nationalistischen, minderheitenfeindlichen Kundgebungen erschüttert wurde, schwieg Plewneliew lange und sagte dann, "das interessiert die Bulgaren doch gar nicht".