Stuttgart. Am kommenden Sonntag sind 7,6 Millionen Baden-Württemberger zur Volksabstimmung über das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21" aufgerufen. Die Deutsche Bahn, die Politik und die Bürger hoffen, den jahrelangen Streit damit beenden zu können.
Doch wie auch immer das Referendum ausgeht: Manche Fragen rund um das Milliarden-Bahnprojekt bleiben noch offen.
Auf wessen Initiative geht die Volksabstimmung zurück?
Im September 2010 überraschte der SPD-Landeschef Nils Schmid mit dem Vorschlag eines Volksentscheids. Schmid handelte sich den Vorwurf ein, die Unterstützung seiner Partei für das Projekt infrage zu stellen. Aber er ebnete damit den Weg für die Regierungskoalition mit den Grünen, die das Projekt äußerst kritisch sehen, und ermöglichte eine echte Bürgerbeteiligung.
Wie hat Grün-Rot die Volksabstimmung eingefädelt?
Mit der Stimme des S21-kritischen Justizministers Rainer Stickelberger (SPD) haben die Grünen in der Landesregierung einen Gesetzentwurf beschlossen, wonach das Land den Finanzierungsvertrag kündigen und aus dem Projekt aussteigen soll. Eine Landtagsmehrheit von SPD, CDU und FDP lehnte das Gesetz ab. Daraufhin beantragten mehr als ein Drittel der Abgeordneten eine Volksabstimmung. Trotz heftiger Kritik am Verfahren sahen CDU und FDP von einer Verfassungsklage ab.
Welche Frage müssen die Baden-Württemberger beantworten?
Die Bürger stimmen nicht über das Projekt an sich ab, sondern über den vom Landtag abgelehnten Gesetzentwurf zum Ausstieg. Deshalb müssen die Projektbefürworter mit "Nein" votieren, die Gegner von Stuttgart 21 mit "Ja". Eine Enthaltung ist nicht möglich. Die komplizierte Fragestellung stößt bei vielen auf Kritik.
Der Stimmzettel ist unter Federführung des baden-württembergischen Innenministeriums von mehreren Ressorts entwickelt worden. Die Fragestellung lautet: "Stimmen Sie der Gesetzesvorlage 'Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)' zu?"
Zur Erläuterung sind noch folgende Hinweise hinzugefügt: "Mit "Ja" stimmen Sie für die Verpflichtung des Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben. Mit "Nein" stimmen Sie gegen die Verpflichtung des Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben."
Unter welchen Bedingungen müsste das Land aus dem Projekt aussteigen?
Erstens muss die Mehrheit der Abstimmenden für den Ausstieg votieren. Und zweitens muss diese Mehrheit laut Landesverfassung mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten - das sind 2,5 Millionen Stimmen - ausmachen.
Welches ist das politisch brisanteste Ergebnis?
Wenn die S21-Gegner zwar die Mehrheit der Abstimmenden stellen, aber nicht das Quorum erfüllen, könnte dies unabsehbare politische Folgen haben. Denn das Bündnis gegen Stuttgart 21 meint, wichtig sei vor allem die Mehrheit der Abstimmenden, nicht das Erreichen der deutschlandweit höchsten Hürde für ein Referendum. "Wir haben die klare Erwartung an die Grünen und die SPD, dass sie die Mehrheit akzeptieren und als Chance und Auftrag mitnehmen", sagt Bündnis-Sprecher Hannes Rockenbauch.
Wie sieht Grün-Rot das?
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wird nicht müde, auf die gültige Verfassung zu verweisen: "Daran haben sich alle zu halten." Sein Verkehrsminister und Parteifreund Winfried Hermann sieht das nicht so klar. Er hält den Weiterbau von Stuttgart 21 auch dann für kritisch, wenn das Quorum knapp verfehlt wird und die Mehrheit dagegen ist.
Wie würde die Bahn auf einen Ausstieg des Landes reagieren?
Bei einem Ausstieg des Landes entstünde eine Finanzierungslücke von maximal 930 Millionen Euro für das 4,1 Milliarden Euro teure Vorhaben. Dennoch könnte die Bauherrin Bahn nicht sofort die Baustelle räumen. Sie sieht sich durch die Finanzierungsverträge mit dem Land, dem Bund, der Stadt Stuttgart und dem Verband Region Stuttgart gebunden. Ein langer Rechtsstreit wäre die Folge. Denn die Bahn verweist darauf, dass der Vertrag keine Kündigungsrechte vorsieht, sondern Gespräche, wenn der 4,5 Milliarden-Euro-Deckel gesprengt wird. Im Fall eines "Vertragsbruchs" durch das Land verlangt der Konzern 1,5 Milliarden Euro Entschädigung.