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Das neue Kräftemessen zur Rettung der EU

Von Martyna Czarnowska

Politik

Die Volksvertretung ringt um mehr Einfluss in der Finanzkrise.


Brüssel. Die anfängliche Freude war groß - und viel schneller verflogen als gedacht. Nach jahrelangem Ringen konnte das EU-Parlament einen gewaltigen Erfolg verbuchen: Mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags wurde die Volksvertretung massiv aufgewertet. Sie ist nun in die Gestaltung des EU-Haushalts eingebunden, ist in vielen Bereichen gleichgestellt mit dem Rat, dem Beschlussgremium der Mitgliedsländer, und fungiert praktisch als Co-Gesetzgeber in der Europäischen Union.

Doch dann kam etwas, mit dem kaum einer so gerechnet hat: die Krise. Und auf einmal fand sich das Parlament - wie die EU-Kommission - außerhalb der Zirkel wieder, die die Entscheidungen fällen. Denn die meisten Abmachungen zur Bewältigung der Schuldenkrise, wie die Hilfsmaßnahmen für die am Rande des Staatsbankrotts stehenden Länder, machen sich die EU-Staaten nun untereinander aus.

Die These, dass dem EU-Parlament wieder ein Machtverlust drohe, will dennoch kaum ein Europamandatar unwidersprochen lassen. Das Abgeordnetenhaus poche auf seine Rolle als Bürgerkammer und wolle so viel Mitsprache wie möglich haben, sagt etwa Elisabeth Köstinger, Vizedelegationsleiterin der ÖVP im EU-Parlament: "Wir versuchen, uns reinzureklamieren."

Zwar gebe es Verständnis dafür, dass gewisse Entscheidungen zur Krisenbewältigung derzeit schnell getroffen werden müssen, doch mittelfristig müsse die Volksvertretung in die Ausarbeitung etwa eines Fiskalpakts oder in Änderungen der EU-Verträge eingebunden sein. "Für uns steht die Gemeinschaftsmethode im Mittelpunkt, und die gilt es zu verteidigen", meint Köstinger.

Hilfspaket als GesmbH, Länder als Aktionäre

Etliche EU-Staaten sehen dies im Moment allerdings anders. Es ist derart offensichtlich, dass sich etwa Berlin und Paris enger untereinander abstimmen als mit anderen Ländern, dass die Namen der deutschen Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten in einem Zug genannt werden. Eine Krisensitzung der EU-Staats- und Regierungschefs folgt auf die nächste; die Finanzminister treffen einander; zwischen den Hauptstädten wird viel kommuniziert. Und im für die Gestaltung der Union wichtigen Dreieck zwischen Mitgliedsländern, EU-Kommission und -Parlament werden die beiden letzten derzeit zurückgedrängt.

Das hat sich nicht einfach ergeben, sondern die Länder haben dafür gesorgt. Der finanzielle Rettungsschirm für Griechenland etwa entstand durch zwischenstaatliche Vereinbarungen.

Und der Zusammenschluss vor allem der Euro-Staaten zur Rettung der Gemeinschaftswährung sei so etwas wie eine GesmbH, deren Aktionäre die Länder sind, findet Sonja Puntscher-Riekmann. Das gesamte Hilfspaket "ist nicht europäisiert, damit die EU-Institutionen außen vor bleiben", erklärt die Politologin und Leiterin des Salzburger Centre of European Union Studies.

Die Schuldenkrise und die Einhaltung der Maastricht-Kriterien - wie etwa ein Budgetdefizit, das drei Prozent nicht übersteigt - fiel aber sowieso nie in die Kompetenz des Europäischen Parlaments. "In der Wirtschafts- und Währungspolitik hat das Parlament die geringste Rolle", erläutert Puntscher-Riekmann. Dieser Bereich blieb den Mitgliedstaaten vorbehalten, die sich gegenseitig kontrollieren können.

Dass sie nun, wo es um große Geldsummen geht, noch mehr auf ihren Einfluss - oder auch etwa die Mitsprache ihrer Parlamente - pochen, ist insofern verständlich, da es um nationale Finanzmittel geht, die anderen Ländern zur Verfügung gestellt werden sollen. Die Volksvertretungen wiederum geraten in die Zwickmühle, wenn sie die Geldtransfers erlauben, was aber die eigenen Staatsschulden in die Höhe schrauben kann. Sparpakete müssen beschlossen werden, mit denen kaum ein Wähler zufrieden sein wird.

Dabei haben die nationalen Abgeordnetenhäuser einen Nachteil gegenüber dem EU-Parlament: Dieses braucht auf keine Regierung zu achten. Die Koalitionsparteien sind nicht gezwungen, den Vorlagen des Kabinetts zu folgen, die Oppositionsparteien müssen nicht kritisieren. Für den SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Jörg Leichtfried, ist es nicht zuletzt der Wegfall des Klubzwangs, der das Gremium politisch einflussreich macht. Zwischen 90 und 95 Prozent der Gesetzesvorschläge der EU-Kommission werden abgelehnt oder abgeändert, betont Leichtfried: "In nationalen Parlamenten ist der Prozentsatz ein umgekehrter."

Boykott des Parlaments bei Gesetzgebung möglich

Dass das EU-Parlament aber im Moment - ähnlich wie die EU-Kommission - bei den finanziellen Rettungsmaßnahmen gar nichts mitzureden hat, sieht der Mandatar als Ausnahmesituation an, die es bald einzudämmen gilt. Denn: "Sollte Europa je scheitern, dann an den Egoismen und am Machtbewusstsein der Staats- und Regierungschefs." Und sollten diese auf Konfrontationskurs mit dem EU-Parlament gehen, könnte dieses "unorthodoxe Wege" gehen, meint Leichtfried. Als Beispiel nennt er einen Gesetzgebungsboykott.

Für die Politologin Puntscher-Riekmann wiederum ist es enttäuschend, dass sich das EU-Parlament nicht schon längst deutlich zu Wort gemeldet hat. Zwar sei das Abgeordnetenhaus im derzeitigen Ringen um Wege aus der Finanzkrise in seiner Position geschwächt. Doch habe es eine symbolische Macht, die es allerdings nicht nutze.

Völlig weg vom Geschehen sind die EU-Institutionen aber dennoch nicht. Vielmehr gibt es bei der Überwachung der Staaten einen "schrägen Wiedereinstieg" der EU, wie es Puntscher-Riekmann formuliert. So setzt sich die Troika, die in Griechenland die Einhaltung der budgetären Vorgaben überprüft, aus Vertretern der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds zusammen.

Ob und wie sich das EU-Parlament wieder in den Kreislauf der Entscheidungen bringen kann, ist noch offen. Zunächst bleibt ihm die Forderung, bei künftigen möglichen Änderungen der EU-Verträge Mitbestimmungsrecht zu haben. Dabei setzen etliche Mandatare auf die "politische Rauflust", wie es Leichtfried nennt, ihres künftigen Parlamentspräsidenten. Der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz wird aller Voraussicht nach am Dienstag kommender Woche dieses Amt übernehmen. Auch er hat das Vorgehen der Staats- und Regierungschefs in der Schuldenkrise bereits heftig kritisiert.