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Irland verunsichert erneut die EU

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Europaarchiv

Fiskalpakt-Gegner befürchten Bevormundung aus Brüssel.


Dublin/London. Nicht nur die Partner in Europa hat Enda Kenny diese Woche mit seinem Beschluss überrascht, ein Referendum zu Europas neuem Fiskalpakt abzuhalten. Auch die eigenen Landsleute verblüffte der irische Regierungschef mit seiner unerwarteten Ankündigung.

Wochenlang hatte Kenny mit einem solchen Beschluss gezögert und gehofft, dass sich eine Vertragsversion finden lasse, die ihm eine Volksabstimmung ersparen könne. Doch dazu kam es nicht - und als sich abzeichnete, dass ihm vom Obersten Gericht des Landes ein Referendum aufgezwungen werden könnte, hielt er es für besser, selbst eines auszuschreiben. Das soll nun in Rekordzeit organisiert werden. Ende Mai oder Anfang Juni sollen die Iren ihr Urteil über die neue Schuldenbremse für die Eurozone fällen. Je schneller man die Sache hinter sich bringe, meinen irische Minister, desto besser für Irland - und für die ganze Eurozone.

In der Tat hat Kennys Regierung selbst kaum eine Wahl gehabt, in dieser Sache. Die irische Verfassung schreibt Volksabstimmungen vor, wann immer nationale Souveränität an andere Institutionen übertragen werden soll. Nicht mal in Dubliner Regierungskreisen aber ist man sich ganz sicher, wohin die Iren ihre Kreuze setzen werden, wenn erst der Sommer ins Land zieht. Erinnerungen an die verlorenen EU-Referenden der jüngsten Jahre überschatten Kennys hochfliegende Erwartungen. Immerhin wurde 2001 der Vertrag von Nizza niedergestimmt. Und 2008 stürzten die Iren mit ihrem Nein zu Lissabon die ganze Gemeinschaft in die Krise.

Beide Male ließen sich der EU Zugeständnisse abgewinnen - sodass in zweiten Durchgängen die Verträge doch noch Mehrheiten erhielten. Beide Episoden aber signalisierten auch die erlöschende Liebe Irlands zu Europa. Vordem konnte die von Brüssel großzügig geförderte Grüne Insel als festester Pfeiler der EU gelten. Später, zu Zeiten des "Keltischen Tigers" und des Beitritts der Osteuropäer zur EU, begann dieser Pfeiler merklich zu bröckeln.

Bittere Medizin für ein Land in der Krise

Mittlerweile findet sich Irland tief in der Krise. Haushaltskürzungen im Wert von 30 Milliarden Euro hat das kleine Land in den letzten Jahren hinnehmen müssen. Der Wert irischer Häuser ist seit 2008 um die Hälfte gesunken. Beim Wachstum klemmt es. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 14 Prozent. Die Woge erzwungener Emigration schwillt immer noch an.

Und nicht alle Iren machen Banken, Politiker und Spekulanten im eigenen Land für ihre prekäre Lage verantwortlich. Vielen stößt, wie den Griechen, die "Medizin" auf, die ihnen Berlin und Brüssel verschreiben wollen. Auf diese Ressentiments gründen die Gegner des Fiskalpakts in Irland ihre Hoffnungen. Der Pakt, meint Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams, bedeute immer neue Einschränkungen: "Er institutionalisiert diese Politik der Einschränkungen auf alle Ewigkeit." Das Referendum, finden Republikaner, Sozialisten und Unabhängige in Irland, biete die einmalige Chance, sich von einer solchen Politik und von fremder Bevormundung "zu befreien".

Für den Pakt treten Kennys Fine Gael und die mit Fine Gael koalierende Labour Party, sowie (auf Seiten der Opposition) die konservative Fianna Fail, aber auch die Grünen, ein. Sie alle suchen Katastrophenszenarien fürs erste zu vermeiden, lassen aber unter der Hand wenig Zweifel daran, was sie für den Fall eines Referendums-Nein befürchten.

In der Tat würde ein Irland, das sich aus dem Pakt ausschlösse, keine Finanzhilfe aus dem künftigen permanenten Euro-Topf mehr erwarten können. Ohne diese Garantie, befürchten irische Ökonomen, könnte Irland erneut ins Schlingern kommen. Ein Nein zum Pakt habe nicht automatisch den Austritt aus der Eurozone zur Folge. Er könne ihn aber immer noch nach sich ziehen. "Im Grunde", warnte schon im Dezember Irlands Finanzminister Michael Noonan, wäre ein irisches Referendum über den Fiskalpakt "ein Referendum über unsere Euro-Mitgliedschaft".

Der ganzen Eurozone, wissen die Iren, würde ein irisches Nein neue Konvulsionen bescheren. Zwar kann der Pakt auch ohne irische Teilnahme in Kraft treten. Er braucht nur Ratifikation durch 12 der 17 Euro-Staaten. Doch ein neu kriselndes Irland hätte unabsehbare Konsequenzen für die Bemühungen um eine Stabilisierung der Währungseinheit.

Schon jetzt schaffen Zweifel über den Ausgang des Referendums weit über Irland hinaus neue Ungewissheit. "Zweifel sind ansteckend", sagt der irische EU-Experte Arthur Beesley. Man könne verstehen, dass Europa vorm Spektakel eines irischen Referendums am liebsten die Augen verschlösse: "Aber das kann es sich leider nicht erlauben."