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Ein bisschen mitnaschen

Von Simon Rosner aus Krakau

Politik

Statt Spiele auszutragen, lud Krakau EM-Teilnehmer ein - samt ihren Fans.


Krakau. Eine Gruppe von Touristen steht vor der Marienkirche am Hauptplatz von Krakau und lauscht einem virtuosen Akkordeontrio. Dazwischen wird geknipst, zuerst die Kirche, dann die Kirche samt Akkordeonisten, der große Platz mit den Krakauer Tuchhallen in der Mitte, und natürlich der Fiaker, der gerade andere Touristen an der Kirche vorbeifährt. Auch sie haben ihren Fotoapparat im Anschlag.

Auch Krakau will Teil der Euro sein, vor der Marienkirche wurden entsprechende Fahnen montiert. Krakau ist "Team Base Camp".
© Ros

Es könnte ein ganz normaler Juni in Krakau sein. Wären da nicht die Fahnen auf dem Hauptplatz, auf denen das Euro-2012-Logo prangt. Wären da nicht jene Touristen, die englische, spanische, irische, holländische oder dänische Fußballtrikots tragen. Und ist das nicht Phillip Cocu, der Teamchefassistent der Niederländer, der da in einem Café sitzt und griesgrämig einen Cappuccino trinkt?

Auch wenn in Krakau keine Spiele ausgetragen werden, findet die Euro 2012 auch hier im Süden des Landes statt. "Natürlich sind wir Teil der Europameisterschaft", sagt Filip Szatanik, der Informationschef der Stadt, wie selbstverständlich. Die Fahnen, die auf dem Hauptplatz wehen, sind gelb, nicht blau wie in den Host Citys, ein Unterschied muss schließlich sein. Auf ihnen steht "Team Base Camp", denn drei Mannschaften haben ihr Quartier in Krakau bezogen. In einer Seitengasse des Hauptplatzes, im Stary Hotel, wohnen die Engländer, in Gehweite am Ufer der Weichsel die Niederländer, und die Italiener haben sich ein paar Minuten außerhalb der Stadt eingemietet.

"Natürlich wären wir gerne Austragungsort gewesen", sagt Szatanik. Krakau hätte auch gute Argumente gehabt. Es ist nach Warschau die zweitgrößte Stadt des Landes, sie ist touristisch und verfügt über 50.000 Betten, und außerdem wurde in Krakau der polnische Fußball begründet. Cracovia und Wisla, beide 1906 entstanden, sind die zwei ältesten Vereine in Polen. Warum also ist Krakau übergangen worden? "Es war eine politische Entscheidung", sagt Szatanik. Seit zehn Jahren ist Jacek Majchrowski vom Bund der Demokratischen Linken Bürgermeister, in Warschau aber regiert die liberal-konservative Bürgerplattform von Ministerpräsident Donald Tusk.

Gewiefte Krakauer

Auch Chorzów hatte sich Chancen auf die Euro ausgerechnet, immerhin steht dort das Slaski Stadion, das bis vor der EM die Heimstätte der polnischen Nationalelf war. Die Krakauer erwiesen sich aber als gewieft und holten, wenn schon nicht Spiele, eben Teilnehmer in die Stadt. "Unser Ziel war es sofort, einige Teams nach Krakau zu bringen, das haben wir geschafft", sagt Szatanik.

Als die Qualifikation geschlagen war, schickte Krakau deshalb gleich eine Delegation zum englischen Verband. Der sah sich ohnehin nach einem Quartier in einer Stadt um, da England während der WM 2010 in der Einöde von Rustenburg vom Lagerkoller heimgesucht worden war. Auch wenn die Engländer die Vorrunde in der Ukraine bestritten, passte ihnen Krakau genau ins Anforderungsprofil. Ein Glücksfall für die Stadt, wie Szatanik findet. "Wenn die englischen Spielerfrauen kommen und hier einkaufen gehen, werden auch die Paparazzi kommen. Das wird uns weltweit Werbung einbringen, für die wir sonst Millionen hätten zahlen müssen."

Kaum Kosten für die Stadt

Auch die Spielorte Posen und Danzig verfolgen derartige Ziele, auch sie wollen sich mit der Euro ins touristische Rampenlicht spielen. Szatanik nennt das den "Barcelona-Effekt", da die katalanische Stadt dank der Olympischen Spiele 1992 zu einer der begehrtesten touristischen Destinationen Europas geworden ist. Doch Barcelona hat dafür auch enorme Investitionen tätigen müssen, wie auch die Host Citys der EM. In Posen etwa musste ein komplett neues öffentliches Transportsystem geschaffen werden. "Es ist schon auch sehr viel Geld in diese Städte geflossen, aber sie haben insgesamt sehr hohe Ausgaben", erklärt Szatanik.

Vor allem die Sicherheitsausgaben sind für die Host Citys sehr hoch, Krakau kommt dagegen mit einem Bruchteil davon. "Es könnte sein, dass Krakau deshalb der große Gewinner dieser Euro wird", sagt Szatanik. Die Stadt musste nur geringe Investitionen tätigen, ist aber dennoch irgendwie Teil der Fußball-EM. Das ist die Hoffnung Krakaus. Und dass der englische Verband für 150.000 Euro einen neuen Rasen im Stadion von Hutnik Nowa Huta verlegen ließ, wo England trainiert, freut den Verein aus der dritten Liga. Er hätte sich das selbst nie leisten können, erzählt ein Fan von Hutnik.

Das Tierorakel versagt

Doch er erzählt auch, dass er in einem der besseren Hotels der Stadt arbeitet und diesen Juni deutlich weniger Gäste gekommen sind. "Normalerweise sind wir zu 90 Prozent voll, jetzt vielleicht zu 60 Prozent." Hat die EM also eher abgeschreckt? "Eher die Preise. Die sind doch deutlich höher", sagt der Hutnik-Fan. Wie bei den Host Citys haben die Hoteliers auch in Krakau mit einer sehr hohen Nachfrage gerechnet und die Preise erhöht, doch die Erwartungen waren zu hoch angesetzt.

Die Stadt ließ jedenfalls nichts unversucht, um während der Euro medial präsent zu sein. Man setzte sogar auf ein Tierorakel und bat die Elefantendame Citta des örtlichen Tiergartens, in die Fußstapfen des mittlerweile verstorbenen Kraken Paul zu treten, dem Fußballweisen aus dem Tierreich. Damals waren unzählige TV-Stationen nach Oberhausen gepilgert.

Doch dann zeigte sich nur, dass selbst gute Ideen nicht immer aufgehen. Bei ihrem ersten Auftritt sollte Citta den Ausgang der Partie Polen gegen Griechenland prophezeien, stattdessen fraß sie den EM-Ball "Tango12", der in ihrem Gehege lag.

Krakaus Pressechef Szatanik glaubt aber, dass die EM der Stadt auch insofern etwas bringt, weil in diesem Juni andere Besucher als sonst kommen würden. Wie eine Gruppe dänischer Fans, die auf dem Weg zum letzten Auftritt ihrer Mannschaft in Lemberg waren, das nur etwas mehr als 300 Kilometer weit entfernt ist. "Wenn wir schon zur Euro fahren, wollen wir auch etwas sehen. Wir haben hier Auschwitz besucht und schauen uns die Stadt an. Fußball ist ja nicht alles", sagt einer von ihnen.

Vielleicht kehren ja auch Spieler hierher zurück, zumindest die Holländer und Italiener wurden schon in der Stadt gesichtet. Die Engländer blieben bisher verschanzt in ihrem Hotel. Ein englischer TV-Reporter, der seine Kamera auf das Teamhotel gerichtet hat, glaubt auch nicht so recht daran, dass er noch Bilder bekommen wird. Wenn Rooney und Co. vor das Hotel treten, stehen sie zwar nicht in der Pampa wie in Rustenberg, dafür auf dem belebten Hauptplatz, wo sich gleich Trauben von Menschen um sie herum bilden würden. Und außerdem: "In Krakau gibt es viel zu viel Kultur und Geschichte, egal wohin man schaut", sagt der Reporter. "Und das vertragen unsere Spieler nicht."