Zum Hauptinhalt springen

Jedem sein Skandälchen

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Frauen und dunkle Geschäfte begleiteten Frankreichs Präsidenten.


Paris. Er sieht aus wie der nette Nachbar, den man über den Heckenzaun grüßt. Wie der Vorsitzende des Elternbeirats, der beim Schulfest auch schon mal Lose verkauft. Und sein Kampf gegen so manches überflüssige Kilo Hüftspeck macht ihn nur noch sympathischer.

Bis es Anfang Mai so weit war, konnten sich viele schlicht nicht vorstellen, dass dieser harmlose Monsieur Hollande Staatschef von Frankreich werden könnte - in einem Land, in dem jeder Sportvereinsvorsitzende ehrfurchtsvoll mit "Herr Präsident" angesprochen wird, gleicht das einem Gral, den nur außergewöhnliche Menschen erreichen. Hollande aber hatte im Wahlkampf aus seiner "Normalität" ein Markenzeichen gemacht, um sich von Nicolas Sarkozy, dem überkandidelten "Bling-Bling-Präsidenten" abzuheben. Die Rechnung ging auf, trotz der Debatten um seine mangelnde "präsidiale Statur".

Zuvor wählten die Franzosen stets Charismatiker an die Spitze des Staates, die die große Geste beherrschten und die eine Aura des Unberührbaren umgab. Trotz des überbordenden Stolzes auf die Republik nennt der Rechtsprofessor Maurice Duverger den Präsidenten einen "republikanischen Monarchen". Seine in Europa einzigartige Machtfülle - so gewollt von Charles de Gaulle, dem Gründer der Fünften Republik - macht den Präsidenten de facto zum Herrscher über Frankreich. Und sie geht einher mit juristischer Immunität - eigentlich ja nur während des Mandates. Doch nicht umsonst hat Hollande vorbildliches Verhalten als absolute Neuheit versprochen; denn fast alle seiner Vorgänger haben ihre dunklen Flecken, Skandale, Affären, abgesehen von De Gaulle mit seinem Ruf eines prinzipientreuen Staatsmannes, der sogar seinen Elektrizitätsverbrauch im Élysée selbst beglich.

Wirken Männer wie de Gaulle und Georges Pompidou wie aus einer anderen Zeit, so leisteten sich ihre Nachfolger so manche Ausrutscher. So entgingen Chiracs außereheliche Abenteuer weder der Öffentlichkeit noch seiner Frau Bernadette. "Woher soll ich denn wissen, wo mein Mann seine Nächte verbringt?", erwiderte sie auf die Frage, warum dieser in der Nacht, als Lady Di tödlich in Paris verunglückte, nicht erreichbar war.

Milch und Diamanten

Als ebenso legendär gilt Giscard d’Estaings Zusammenstoß mit einem Milchlaster an einem Morgen im September 1974 - in "galanter Begleitung", die nicht seine Frau war. Auch seinen Roman "Die Prinzessin und der Präsident", in dem er sich eine Romanze mit Prinzessin Diana andichtet, verzieh man ihm. Mehr schadete ihm die Affäre um die Geschenke des einstigen Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, Jean Bedel Bokassa. Von diesem hatte Giscard d’Estaing Diamanten angenommen - offenbar nicht ohne Gegenleistung. Er unterstützte Bokassa auch dann noch, als dessen Beteiligung an blutigen Massakern erwiesen war.

Dass sein Nachfolger François Mitterrand auf Kosten des Steuerzahlers neben seiner offiziellen Familie mit Danielle Mitterrand und drei Söhnen eine zweite unterhielt, ging da hingegen schon wieder als Kavaliersdelikt durch. Seine Geliebte Anne Pingeot und die gemeinsame Tochter Mazarine wurden jahrelang von der Polizei bewacht und ihre Miete vom Staat übernommen, während die wissende Journaille galant schwieg. Mitterrand galt als wahrer Schürzenjäger. "Wenn er gewollt hätte, hätte er einen Stein verführen können: sparsame Geste, übermütig glänzendes Auge, gedämpfte Stimme, Worte, die einfangen wie ein Schal", schrieb die gut informierte Journalistin Françoise Giroud. Um seine diversen Affären zu verschleiern, ließ er durch eine "Anti-Terror-Einheit" allerdings tausende Menschen abhören. Sieben seiner ehemaligen Mitarbeiter wurden verurteilt; nicht aber Mitterrand, laut Gericht "Inspirator und Entscheider des Wesentlichen".

Ein Ex-Präsident vor Gericht? Dies galt als unvorstellbar, ja fast als Angriff auf den französischen Staat selbst, den er schließlich verkörperte - bis Chirac Ende 2011 wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel und illegaler Parteienfinanzierung zwei Jahre Haft auf Bewährung erhielt. Zwar wurde dem erkrankten Altpräsidenten das Erscheinen auf der Anklagebank erspart, nicht aber ein Urteil "wie für jeden Franzosen" - das er zwar verlangt, aber wohl nicht erwartet hatte. Die Vorwürfe reichten in seine Zeit als Bürgermeister von Paris zurück, längst erregte Chirac aber mehr Mitleid denn Empörung.

Dass sich die Justiz im Land der Gleichheit nicht mehr Komplizenschaft mit den Mächtigen vorwerfen lassen will, dürfte auch Sarkozy zu spüren bekommen, der in eine Reihe Affären verstrickt ist. Im Rahmen des Bettencourt-Skandals um die milliardenschwere L’Oréal-Erbin laufen sogar bereits Ermittlungen wegen des Verdachts, Sarkozy könnte seinen Wahlkampf 2007 mit illegalen Spenden finanziert haben. Ihm droht ein unangenehmer Prozess - und auf einen Altersbonus wie sein Vorgänger Chirac darf er nicht hoffen.

Umso sorgfältiger pflegt der "Anti-Sarkozy", zu dem Hollande sich stilisiert, sein Saubermann-Image. In die Bredouille brachte ihn ausgerechnet seine Lebensgefährtin Valérie Trierweiler, die via Twitter öffentlich den Rivalen von Hollandes Ex-Partnerin Ségolène Royal unterstützt hat. Ein Mann, der nicht einmal seine Freundin im Griff hat, soll Frankreich lenken?, fragten Spötter. Doch das Skandälchen zeigte, dass eben auch der nette Monsieur Hollande seine privaten Kämpfe auszufechten hat. Was schließlich irgendwie normal ist.