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Agenten-Hotspot Brüssel

Von Veronika Eschbacher

Politik

Wenn es um Geheimwissen geht, gibt es kaum befreundeten Staaten.


Brüssel. Wenn man an Abhörgeräte, tote Briefkästen und Spione denkt, hat man im ersten Moment wohl nicht das an und für sich doch eher beschauliche Brüssel im Kopf. Geht es allerdings nach Alain Winants, Leiter des belgischen Staatssicherheitsdienstes (VSSE), haben Genf und Wien als klassische Hotspots für Spione mit der EU-Hauptstadt spürbare Konkurrenz bekommen. In einem Interview mit dem "EUobserver" nennt Winants Brüssel als neuen Brennpunkt in Sachen Informationsbeschaffung. Das Land mit seiner enormen Konzentration an Diplomaten, Geschäftsleuten und internationalen Institutionen - das Nato-Hauptquartier und fast alle EU-Institutionen befinden sich hier - sei für Spione wie "ein Kindergarten" und "der Ort, an dem man sein muss".

Laut Winants geben sich Spione gerne als Diplomaten, Journalisten, Lobbyisten oder Studenten aus. Er schätzt ihre Zahl auf "mehrere Hundert". Die anvisierten Informationen sind thematisch breit gefächert. Einerseits interessieren Bereiche mit wirtschaftlichem oder politischem Wert, wie etwa die Energiepolitik der EU-Institutionen. Andererseits hätte das Interesse an klassischen sicherheitspolitischen Informationen nie abgenommen.

Die Intensität der Spionageaktivitäten sei mindestens auf gleicher Höhe wie zu Zeiten des Kalten Krieges, sagt Winants. Es wäre naiv zu glauben, dass nur Länder wie Russland, China oder der Iran auf Geheimwissen aus seien. Gerade wenn es um wirtschaftliche und wissenschaftliche Informationen geht, sei jedes Land - ungeachtet einer ansonsten freundschaftlichen Beziehung - an Know-how, das es noch nicht besitzt, interessiert.

Lockerer Umgang bei EU

Winants geht davon aus, dass es innerhalb der in Brüssel tätigen internationalen Institutionen bereits spezielle Trainings für die Mitarbeiter gibt und dass die nationalen Geheimdienste der EU-Länder die Personen, die eine Position in der EU-Hauptstadt annehmen, vor Jobantritt auf potenzielle Risiken vorbereiten. Er betont, dass die Nato schon historisch mehr auf Sicherheit und den korrekten Umgang mit geheimen Informationen bedacht ist. Die EU-Institutionen hätten in diesem Bereich noch aufzuholen. Mehr Kooperation zwischen den Geheimdiensten der EU-Länder, den EU-Institutionen und der Nato seien hier unabdingbar.

Bei Informationsbeschaffung alleine bleibt es allerdings nicht. Die diversen Akteure versuchen auch, Entscheidungen hochrangiger Mitarbeiter in EU- und Nato-Positionen zu beeinflussen. Der Erstkontakt findet meist bei gesellschaftlichen Veranstaltungen statt. Angesprochen werden bevorzugterweise Menschen, die auf Geld aus seien oder Schulden haben, berichtet der EUobserver mit Berufung auf EU-Sicherheitspersonal. Auch Personen, die radikale Ideen vertreten oder einfach wie James Bond sein wollen, würden ausgewählt. Oft wartet man auf die Rückkehr einer Zielperson in ihr Heimatland, bevor ein Rekrutierungsversuch erfolgt.

Winants stellt fest, dass angesichts der Bandbreite der Bedrohungen die Sicherheitskräfte in den EU-Institutionen selbst wohl zu schwach besetzt sind. Vor allem der Europäische Auswärtige Dienst in Brüssel unter der Leitung von Catherine Ashton sei Ziel geheimdienstlicher Operationen, so der EUobserver. Als Schwachstellen des EU-Organs gelten aber auch die Auslandsdelegationen, vor allem jene, die sich in Ländern mit sehr aggressiven einheimischen Geheimdiensten befinden, wie etwa China, Syrien, der Ukraine, Russland oder Israel. Das lokal engagierte Personal, in Moskau alleine 28 Personen, sei sicherheitstechnisch nicht überprüft. Gleichzeitig tendieren selbst die EU-Botschafter zu Gesprächen über ungesicherte Leitungen.

Ein Bewusstsein scheint sich bei den EU-Institutionen in der Tat noch nicht durchgesetzt zu haben. Wie sorglos EU-Parlamentarier mit Informationen umgehen, führte nicht zuletzt die Lobbying-Affäre um Ernst Strasser vor, der bekanntlich bereitwillig alle seine Kontakte und Einflusssphären darlegte. Im Nato-Hauptquartier hingegen gibt es sogar in der Kantine ein Schild mit der Aufforderung, keine vertraulichen Gespräche zu führen. Man empfängt auch den US-Fernsehkanal ANF für Soldaten und ziviles Personal. Dieser sendet ständig Werbespots, die darauf aufmerksam machen, nicht öffentlich Details über Missionen auszuplaudern.