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Das große Feilschen hat begonnen

Von Hermann Sileitsch und Karl Leban

Politik

Berichterstatter Giegold: Start der EZB-Aufsicht 2013 "sehr schwierig".


Brüssel/Frankfurt. Mehr als 4500 Milliarden Euro: So viel Geld mussten Europas Steuerzahler laut EU-Kommission bis dato für Bankenrettungen lockermachen. Damit die Bürger nicht mehr habituell zur Kasse gebeten werden, wenn Finanzinstitute zu kollabieren droht, soll eine Bankenunion entstehen. Seit gut einer Woche liegt ein erster Vorschlag der EU-Kommission auf dem Tisch: Eine starke zentrale Bankenaufsicht soll etabliert werden - mit Möglichkeiten von Kontrollen über Lizenzentzug bis hin zu direkten Eingriffen in taumelnden Banken. Fix ist, dass die Aufsicht bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt angesiedelt sein soll. Dann ist es mit dem Konsens jedoch fast vorbei: Schon jetzt droht eine Verwässerung der Kommissionspläne.

Der zentrale Streitpunkt ist, welche Banken die EZB beaufsichtigen darf. Die Kommission will, dass der Arm der Zentralbanker notfalls in jede der 6200 Banken des Euroraums regieren kann. Deutschland möchte, dass die Frankfurter Aufseher nur für große, grenzüberschreitende Institute zuständig sind. Zur deutschen Sichtweise tendiert auch Klaus Liebscher, Vorstandschef der Fimbag, die in Österreich die staatlichen Bankbeteiligungen verwaltet. Er plädiere für "Augenmaß", sagt er zur "Wiener Zeitung".

Barnier sucht "Kompromiss"

Der zuständige Binnenmarktkommissar Michel Barnier betonte am Donnerstag bei einem Besuch in Berlin, er halte grundsätzlich an der Zuständigkeit für alle Banken des Euroraums fest. Jedoch sei er zu Zugeständnissen bereit, sagte der Franzose: "Selbstverständlich werde ich einen Kompromiss mit Berlin und anderen europäischen Hauptstädten erarbeiten." Barnier sprach von weitreichender Dezentralisierung - und kalmierte somit deutsche Sorgen vor einer "Superbehörde" in Frankfurt. Die tägliche Arbeit und "funktionale Aufsicht" werde ohnehin weiter durch die nationalen Aufseher durchgeführt: "Die Bafin (die deutsche Bankenaufsicht, Anm.) wird ihre Rolle behalten."

Ob das den Deutschen reicht? In Berlin kursieren Regierungspapiere, in denen überhaupt nur von einer EZB-Einbindung in Aufsichtsbelange die Rede ist, nicht von einer völligen Verlagerung der Kompetenz. Die Kontrolle solle zudem auf systemrelevante und grenzüberschreitende Institute beschränkt sein, zitiert Reuters aus dem angeblich zwischen den Unions-Fraktionen und der FDP abgestimmten Entwurf. Wo bliebe da Raum für Kompromisse?

Es sei übertrieben, von einem ernsten Konflikt zwischen Berlin und Paris zu sprechen, beruhigte der französische Finanzminister Pierre Moscovici. Er sieht Spielräume für eine Einigung.

Diese gebe es durchaus, sagt auch Sven Giegold, Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament und ein Berichterstatter für die Bankenaufsicht, zur "Wiener Zeitung": Die Kernfrage sei, wie viele Aufgaben bei den nationalen Aufsehern verbleiben. Womöglich erhalte die zentrale Behörde (die EZB) nur Durchgriffsrechte - und zwar umso direkter, je größer eine Bank ist. Genau hinschauen müsse man jedoch auch bei vernetzten kleinen Banken (Sparkassen und Genossenschaftsbanken): Ihre gesamte Bilanzsumme entspreche jener einer Großbank, so Giegold. Die Einhaltung des Fahrplans - ab Jänner 2013 sollte die EZB Teile ihrer Verantwortung wahrnehmen - hält der Deutsche bereits jetzt für "sehr schwierig". Schließlich verliefen die Debatten unter den Mitgliedstaaten höchst kontroversiell. "An uns wird es jedoch nicht scheitern", betont Giegold: Die EU-Parlamentarier seien darauf vorbereitet, noch im Dezember 2012 abzustimmen.

Freiwillige (ohne Euro) vor!

Ein tiefer Graben verläuft in Sachen Bankenunion auch zwischen Euro- und Nicht-Euroländern. Letztere sollen zwar freiwillig unter die EZB-Aufsicht schlüpfen können. Sie sehen aber ihre Mitspracherechte nicht ausreichend gewahrt: "Es gibt eine große Zahl von Ländern, die nicht Mitglieder der Eurozone sind, und diese Lösung nicht akzeptabel finden", sagte der schwedische Finanzminister Anders Borg. Polens Finanzminister Jacek Rostowski meldete ebenfalls Vorbehalte an: Das derzeitige Modell interessiere ihn "überhaupt nicht", sein Land habe bei der EZB kein Stimmrecht. Damit droht es die einheitliche Aufsicht vom Start weg zu zersprageln. Aus österreichischer Sicht wäre es alles andere als optimal, wenn nur ein Teil der Banken in Osteuropa unter die neue Aufsichtsstruktur fällt.

Das unterstreicht auch Giegold: "Es ist absolut zentral, dass die Tür für Nicht-Euroländer so offen und attraktiv wie möglich ist." Weder Österreich noch Deutschland noch die EU habe ein Interesse, neue Grenzen aufzumachen. Möglichst viele Staaten sollten sich der Aufsicht anschließen. Das bedeute zugleich: "Die Nicht-Euroländer dürfen bei Abstimmungen in der EZB nicht Kandidaten zweiter Klasse sein."

Vieles hängt somit von der Balance der Aufgaben zwischen der EZB-Bankenaufsicht und der Europäischen Bankenaufsicht EBA in London ab - diese soll für die einheitlichen Regeln im gesamten EU-Raum zuständig bleiben. Just Großbritannien gilt als vehementer Gegner einer vereinheitlichten Bankenaufsicht bei der EZB.

Netz nur für gesunde Banken

Die größten nationalen Widerstände löst die Brüsseler Idee aus, wonach ein europäischer Einlagensicherungsfonds die Spareinlagen absichern soll. Bisher garantieren nationale Systeme für Sparbücher bis zu 100.000 Euro pro Person und Institut - seit Ende 2010 gilt diese Kenngröße europaweit.

Dabei will die Kommission nicht stehen bleiben: Am Ende sollen die Banken im Vorhinein einen zentralen Einlagensicherungstopf dotieren, der im Notfall zum Einsatz kommt. Reicht das nicht aus, müssten die Länder gemeinsam Kredite aufnehmen - wie für den Euro-Rettungsschirm. Das stößt auf Ressentiments: Warum sollten Österreichs Steuerzahler für kaputte Banken in Spanien oder Irland geradestehen?

Diese Vorstellung halte er für "abenteuerlich", sagt Giegold. Für ihn sei klar, dass ein Sicherungssystem nur zwischen gesunden Banken errichtet werden könne. Er hält aber auch Unterschiede der Geschäftsmodelle für problematisch: "Ich sehe nicht ein, warum eine dörfliche Raiffeisenbank für Spekulationsgeschäfte der Deutschen Bank mithaften sollte." Vorstellbar seien deshalb grenzüberschreitende Einlagensicherungen für Banken mit ähnlichen Geschäftsmodellen. Er halte aber auch andere Zwischenschritte für möglich, bevor es zu einem europäischen "Einheitstopf" komme.

Falsche Bankdaten geliefert?

Letzter Baustein der Bankenunion wäre ein "Abwicklungsinstrument" für Krisenbanken. Für Fimbag-Chef Klaus Liebscher wird das Pferd von hinten aufgezäumt: "Für die Entlastung des Steuerzahlers wäre ein Restrukturierungsfonds das vorrangige Projekt." Er sei immer der Meinung gewesen, die Einnahmen aus der Bankensteuer sollten nicht ins Budget, sondern in so einen Fonds fließen. Eine zentrale Einlagensicherung sieht der Ex-Notenbank-Chef hingegen nicht als Priorität - das funktioniere bisher schon "tadellos, in Österreich und anderen Ländern."

Zur Vermeidung von Folgekosten sei auch die zentrale Aufsicht essenziell, sagt hingegen Giegold: Im Fall der spanischen Großsparkasse Bankia habe die Eurozone einen hohen Preis dafür gezahlt, dass Spaniens Finanzaufsicht nicht rechtzeitig Daten geliefert habe. Die europäischen Stresstests für Banken seien zwar gut gewesen, nicht alle Länder hätten aber korrekte Daten geliefert: "Dafür haben wir alle gezahlt - auch indirekt, durch die Folgen für den Euro." Und dasselbe drohe sich nun bei Stresstests der Europäischen Versicherungsaufsicht zu wiederholen. Konkrete Länder nannte Giegold nicht, aber: "Daraus muss man ja Konsequenzen ziehen."