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Milliardär beansprucht Wahlsieg

Von WZ-Korrespondentin Inna Hartwich

Politik

Regimekritischer TV-Sender spricht von 70 Prozent für Saakaschwili-Gegner.


Tiflis.

Aus seinem Fenster blickt Ilja Peswianidse auf den riesigen Glaspalast seines "Retters", eines Erlösers von "ganz Georgien", wie es Ilja Peswianidse sagt. Der Mann, Anfang 60, mit Schnauzbart und einer Brille, die mehrere Lagen Klebeband zusammenhalten, spricht leise, ganz ohne Pathos. Er wolle einfach, dass es Georgien wieder gut gehe, dass es ihm und seiner Familie wieder gut gehe. Er wolle seine Bilder verkaufen, davon leben können, wolle, dass seine beiden Söhne gut verdienen. So steht er da im Raum, der Schlafzimmer und Werkstatt und Schreibstube zugleich ist, mit Pinseln auf dem Boden und einem Computer in der Ecke, und blickt hinauf zum Berg und hinunter zu einem zweistöckigen Bau, gelb, mit bunten Plastikschaukeln davor.

Hier in der Kodschori-Straße von Tiflis (Tbilissi), im Kindergarten Nummer 144, steht Peswianidses Retter in der Sonne, umringt von Bodyguards, Fotografen, Kameraleuten und Journalisten. Er spricht - gewohnt zurückhaltend - vom Schicksal, von Zuversicht, von Stärke. "Unsere Geschichte war voller Hindernisse, und zum ersten Mal hat unser weises Volk die Möglichkeit, die Regierung durch eine Wahl zu Fall zu bringen", sagt Bidsina Iwanischwili, der Mann, der Georgiens Politik derzeit so aufmisch wie seit langem niemand mehr; einer, der die Südkaukasus-Republik mit viel Geld in einen "freien und gerechten Staat" verwandeln will und der dem immer mehr autoritär regierenden Präsidenten Michail Saakaschwili mächtig auf die Füße tritt.

Noch kurz vor Schließung der Wahllokale gehen Beobachter von einem Kopf-an-Kopf-Rennen von Saakaschwilis Partei "Vereinigte Nationale Bewegung" (VNB) und Iwanischwilis Sechs-Parteien-Koalition "Georgischer Traum" aus. 150 Sitze sind im Parlament zu besetzen. Moment hält VNB die Zweidrittel-Mehrheit.

Aus dem Kindergarten tritt Iwanischwili, ohne seine Stimme abgegeben zu haben, aus Protest, wie er betont. Saakaschwili, einst Freund, nun ein erbitterter Feind, hat ihm einst die georgische Staatsbürgerschaft ab-, dann wieder zuerkannt, weil der Milliardär, der sein Vermögen in Russland machte, einen französischen Pass besitzt. Nur seine Frau Eka, eine schmächtige Frau, die kein Wort von sich gibt, macht in der Wahlkabine ein Kreuz.

Schlangestehen vor den Wahllokalen

Sie ist damit eine von rund 3,6 Millionen Georgiern, die am Montag zur Wahl aufgerufen waren. Eine wie der Maler Ilja Peswianidse oder die Übersetzerin Lia. "Ich will keinen Wandel, nicht schon wieder Veränderungen und Unruhen, sagt die 54-Jährige nach dem Urnengang in der Tifliser Altstadt. "Deshalb habe ich für die Partei von Saakaschwili gestimmt, mit ihm weiß man, was man hat: Fortschritt und Ordnung." Viele befürchten auch, dass Iwanischwili eine Marionette Moskaus ist, die die Ex-Sowjetrepublik von ihrem prowestlichen Kurs abbringen soll.

Bereits am frühen Morgen füllen sich in der Hauptstadt die Wahllokale, die Menschen stehen Schlange. Am Nachmittag sprechen internationale Wahlbeobachterorganisationen von einer höheren Wahlbeteiligung als im Jahr 2008. Sie melden auch "geringe Unregelmäßigkeiten", wie es Nino Lamdscharia von der "International Society for Fair Elections and Democracy" bezeichnet. Sie nennt vor allem die Abstimmungen ohne Pass und zeigt sich "im Allgemeinen" zufrieden mit dem Verlauf der Abstimmung.

Es ist eine entscheidende Wahl, da Georgien nach einer bereits beschlossenen Verfassungsänderung in einem Jahr zur parlamentarischen Republik werden soll. Damit verliert der Präsident seine starken Befugnisse. Im hochemotional geführten Wahlkampf haben sich die beiden Kontrahenten nichts geschenkt. Die Rhetorik war stark konfrontativ und geprägt von teils bizarren Vorwürfen, zudem kamen kompromittierende Videos - wie jene über die Vergewaltigung in Gefängnissen - ins Spiel. Vor allem nach dem Gefängnisskandal kippte auch die Stimmung im Volk. Endlich habe man über die Missstände offen sprechen können, erzählen viele Georgier. Die Angst sei ein wenig gewichen. Mit Iwanischwili, so hoffen sie, werde der Druck nachlassen, werde Georgien wieder freier. "Er ist ein ehrbarer Mann", sagt Ilja Peswianidse. An der Wand hat er ein Bild hängen, "Alte Zeiten" hat er sein Werk genannt. Darauf sind eine Schildkröte und eine Eisenbahn zu sehen. "So ist Georgien, manchmal kriecht es, manchmal rast es. Wohin aber geht es jetzt?"