Berlin/London. Großbritannien gerät mit seiner immer härteren Haltung in den EU-Budgetverhandlungen zunehmend in die Isolation. EU-Budgetkommissar Janusz Lewandowski forderte, das Land müsse sich endlich entscheiden, ob es der Union weiter angehören wolle. "Entweder es sieht für längere Zeit seine Zukunft in der Europäischen Union oder nicht", sagte Lewandowski in der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag-Ausgabe). Scharfe Warnungen kamen auch aus Paris. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel will zu Gesprächen nach London reisen.

Der britische Premierminister David Cameron hatte bekräftigt, er werde nicht zögern, sein Veto einzulegen, sollte es in den Verhandlungen über den langfristigen EU-Etat von 2014 bis 2020 nicht zu einer Einigung im Interesse Großbritanniens kommen. Zuvor hatte er im Unterhaus eine Schlappe erlitten, weil europakritische Konservative gemeinsam mit der Opposition Kürzungen im EU-Budget gefordert hatten.

"Wir wollen nicht, dass die anti-europäische Haltung sich fortsetzt und vor allem Frankreich aufgefordert wird, die Rabatte von anderen zu bezahlen", warnte der französische Europaminister Bernard Cazeneuve in einem Interview mit dem Radio-Sender RMC, ohne Großbritannien zu nennen. Er bekräftigte zudem den französischen Wunsch, die Agrarsubventionen zu verteidigen und jede Kürzung in diesem Bereich abzulehnen.

Premier "absolut irrsinnig"?
Camerons Vetodrohung stieß unterdessen auch in den eigenen Reihen auf Kritik. Nach dem britischen Vizepremier Nick Clegg wählte auch der frühere konservative Justizminister Ken Clarke am Freitag starke Worte. Der Premierminister wäre "absolut irrsinnig", würde er schon mit der Absicht zum EU-Gipfel am 22. November nach Brüssel fahren, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen, sagte Clarke.

Lewandowski betonte, in der EU werde nach einer Kompromisslösung gesucht. "Aber natürlich gibt es Grenzen: Wir können nicht mehr Europa mit substanziell weniger Geld schaffen", sagte der Budgetkommissar. Auf dem EU-Sondergipfel der 27 Staats- und Regierungschefs Ende November soll eine Einigung über den Finanzrahmen der Union für die Jahre 2014 bis 2020 beschlossen werden.

Bundeskanzler Werner Faymann und Finanzministerin Maria Fekter wollten die britische Veto-Drohung um EU-Finanzrahmen am Freitag nicht kommentieren. Man warte die Verhandlungen ab und hoffe auf einen Kompromiss beim Sondergipfel Ende November, hieß es gegenüber der APA.

Wertvolles aus Großbritannien
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte unterdessen: "Unsere Überzeugungen, was den mehrjährigen Finanzplan betrifft, sind nicht so weit entfernt von den Überzeugungen, wie sie die britische Regierung in den letzten Wochen immer mal wieder formuliert hatte." Merkel werde kommenden Mittwoch nach London reisen. "Großbritannien ist ein Mitglied der Europäischen Union, von dem wir überzeugt sind, dass es der EU Wertvolles zu geben hat." Dazu gehörten die Grundvorstellungen von freiem Handel und die liberalen wirtschaftspolitischen Vorstellungen.

Unterdessen gehen in Brüssel die Verhandlungen über den künftigen EU-Etat mit Nachdruck weiter. Zu Wochenbeginn wollen Vertreter der zypriotischen Ratspräsidentschaft, des Rates und der EU-Kommission Gespräche mit einzelnen Mitgliedstaaten aufnehmen - auch mit Großbritannien. "Wir wollen deren Positionen erkunden und nach Kompromissen suchen", sagte ein EU-Diplomat.

Angespannte Stimmung in Brüssel
Die Stimmung ist in Brüssel angespannt. "Wir nehmen relevante Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten zur Kenntnis", kommentierte ein Sprecher der zypriotischen Präsidentschaft das Abstimmungsergebnis im britischen Parlament.

Allerdings liegen die drei größten EU-Staaten bei den Budgetverhandlungen, bei denen es um ein Volumen von fast einer Billion Euro von 2014 bis 2020 geht, derzeit weit auseinander. Folgt Cameron dem Unterhaus, müsste der EU-Etat faktisch gekürzt werden - das lehnen auch die Nettozahler Deutschland und Frankreich klar ab. Deutschland dringt aber auch darauf, selbst einen Rabatt bei den EU-Beitragszahlungen zu bekommen, weil Großbritannien bereits einen Rabatt erhält und Frankreich in seiner Nettozahler-Bilanz von den sehr hohen Rückflüssen an Agrarsubventionen profitiert.