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Russland stellt Weichen für Totalreform der Armee

Von WZ-Korrespondentin Doris Heimann

Politik

Kreml will Streitkräfte modernisieren, Schoigu soll Reform umsetzen.


Moskau. Auf dem Höhepunkt einer seit zwei Wochen währenden Korruptionsaffäre ließ Wladimir Putin seinen einstigen Vertrauten Anatoli Serdjukow (50) auf seinen Landsitz nach Nowo-Ogarjowo einbestellen, um ihm seine Entlassung mitzuteilen. Der Präsident habe diese Entscheidung persönlich getroffen, betonte später Putins Sprecher Dmitri Peskow. Kurz darauf stand schon der Neue in Nowo-Ogarjowo auf dem Teppich. Sergej Schoigu (57), viele Jahre Katastrophenschutzminister, General und nach Ansicht vieler Russen der sympathischste Vertreter des Systems. Erst vor einem halben Jahr hatte Putin ihn zum Gouverneur des Moskauer Umlandes ernannt, jetzt soll Schoigu den Posten des Verteidigungsministers übernehmen.

"Unter Berücksichtigung der Umstände, die sich im Umfeld des Verteidigungsministeriums entwickelt haben, habe ich mich entschlossen, Minister Serdjukow von seinem Amt abzulösen", so Putin im Gespräch mit Schoigu. Zudem brauche man jemanden, der die notwendigen Reformen in der russischen Armee umsetze, so Putin.

In der Tat soll Schoigu die radikalste Armeereform in Russland seit 150 Jahren zu Ende bringen. Die Atommacht ist nach Ansicht von Experten nur sehr bedingt abwehrbereit, arbeitet ineffizient und ist unterfinanziert. Waffen und Technik sind veraltet, die Unterkünfte marode. Schon vor seiner Rückkehr in den Kreml im Mai hatte Putin beispiellose Investitionen angekündigt. Für hunderte Milliarden Euro sollen neue Waffen her, vor allem Kampfjets und Hubschrauber. Zugleich soll der aufgeblähte Apparat von einst 2,8 Millionen auf eine Million Soldaten reduziert werden.

Der Ruf der Armee ist katastrophal. Rekruten fürchten die "Dedowschtschina", die "Herrschaft der Älteren", wie die grausamen Quälereien der Vorgesetzten während der Ausbildung beschönigend heißen.

Skandal als Vorwand

Bei der geplanten Totalreform kann Putin der Armeegeneral Schoigu eher behilflich sein als der Zivilist Serdjukow, der mit den Militärs stets auf Kriegsfuß stand. Als "grüne Männchen" verspottete der 50-jährige Finanzfachmann die Befehlshaber, die er öfters stundenlang im Vorzimmer warten ließ, entsprechend unbeliebt war der Minister.

Ein schwerer Korruptionsskandal im Verteidigungsministerium bot Putin den Vorwand, Serdjukow loszuwerden. Dabei geht es um die Holding "Oboronservice", die mit dem Verteidigungsministerium eng verbandelt ist. Die Firma wurde gegründet, um die Arbeit von kleineren Firmen zu überwachen, die das Militär mit Material und Nahrungsmitteln beliefern oder Dienstleistungen ausführen. Laut Ermittlern sollen Spitzenbeamte die Firma genutzt haben, um bei Immobiliendeals Millionen zur Seite zu schaffen. Sie ließen prestigeträchtige Liegenschaften des Militärs mit Staatsmitteln herausputzen und verkauften sie unter Wert an befreundete Unternehmen. Anschließend wurden die gleichen Immobilien wieder durch "Oboronservice" angemietet. Laut Putins Sprecher Peskow liegt der Schaden bei insgesamt 78 Millionen Euro.

Im Zusammenhang mit dem "Oboronservice"-Skandal stürmten Ermittler auch die 13-Zimmer- Wohnung von Serdjukows direkter Untergebener Jewgenia Wassilewa. Sie beschlagnahmten unter anderem 1500 Schmuckstücke im Wert von mehreren Millionen Dollar. Brisant: Bei der Razzia im Morgengrauen soll sich der nunmehr gefeuerte Verteidigungsminister höchstpersönlich in der Wohnung seiner Vertrauten befunden haben. Das berichtet zumindest das Portal "Lifenews".

Die politischen Beobachter sind sich jedenfalls einig, dass die Entlassung Serdjukows - er galt immer als ein Protegé Putins - auch ein Zeichen für Machtkämpfe innerhalb des engsten Führungszirkels. Putins ehemaliger Berater Gleb Pawlowski meint zudem, dass das Hin- und Herschieben des populären Sergej Schoigu von einem wichtigen Posten zum anderen zeigte, dass Putin keine neuen Kader habe, auf die er sich verlassen könne.