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"Industrie darf nicht stillstehen"

Von Alexander Dworzak

Politik

Unions-Vize Bouffier steht vor Klage gegen deutschen Länderfinanzausgleich.


"Wiener Zeitung":Heftig wird derzeit um das EU-Budget für die Jahre 2014 bis 2020 gerungen, auch Sie führen entsprechende Gespräche mit Österreichs Regierung. Welche gemeinsamen Interessen haben Hessen und Österreich?Volker Bouffier: Österreich hat wie Deutschland ein föderales System, und wir müssen gemeinsam stärker in Brüssel auftreten. Die Diskussionen um das neue EU-Budget drehen sich um Kürzungen im Bereich der Landwirtschaft und bei der Regionalförderung. Wir müssen aufpassen, dass diese Themen nicht nur im nationalen Rahmen abgehandelt werden. Ansonsten verlieren sowohl Deutschland als auch Österreich sehr viel Geld, und Förderungen fließen vor allem in extrem strukturschwache Regionen, fürchte ich. Es ist besser, manches in eine starke Region zu investieren, als in ein Fass ohne Boden zu werfen.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Krise der Union?

Wir sollten die Subsidiarität nachhaltig einfordern: Was nicht gesamtstaatlich gelöst werden kann, sollte vor Ort in der Region gemacht werden. Generell wurde die Akzeptanz Europas durch die Finanzkrise arg strapaziert. Das spüren wir in Frankfurt als wichtigstem Finanzplatz auf dem europäischen Festland. Die Frage der Bankenunion und Bankenaufsicht trifft uns viel mehr als andere.

Hessen hat mit dem Frankfurter Flughafen einen unternehmerischen Leuchtturm, mit Opel ein Sorgenkind. Wie gehen Sie mit der anhaltenden Krise des Autobauers um?

Wir setzen auf Zukunftstechnologie und Forschung. So ist Darmstadt neben Paris Sitz der Europäischen Raumfahrtagentur. Und Hessen investiert viel in Bildung. Es gibt zwölf staatliche Hochschulen. Unsere Priorität sind Arbeitsplätze in der Dienstleistungsbranche, wenn die Beschäftigtenzahlen in der Industrie sinken.

Eine Rettung von Opel durch Hessen kommt also nicht infrage?

Steuergeld vom Land Hessen wird es nicht geben.

Mit der Energiewende weg von der Atomkraft hat Deutschland ein zukunftsträchtiges und sehr ambitioniertes Vorhaben. Wie kann dieses gelingen?

Die alternativen Energien müssen marktfähig werden. Im Gegensatz zu Österreich kann sich Deutschland nicht in diesem Ausmaß auf Wasserkraft stützen. Doch der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint nicht ständig. Gleichzeitig darf unsere Industrie nicht stillstehen, wir brauchen also eine Ausfüllung der Grundlast. Ökostrom-Erzeuger sollen daher Verträge mit Kraftwerken abschließen, um auch konventionellen Strom einzuspeisen.

Sie wollen die Energiewende stoppen?

Nein, niemand will zurück. Weder die Bundesregierung noch die Ministerpräsidenten. Aber bislang arbeitete jedes der 16 Bundesländer in eine eigene Richtung. Das Ergebnis: Wir finanzieren heute Öko-Strom, den wir nicht brauchen, weil wir ihn nicht einspeisen können - bis zur vierfachen Menge dessen, was man tatsächlich benötigt. Andererseits gibt es Probleme bei der Grundversorgung. Nun haben sich Bund und Länder grundsätzlich geeinigt, gemeinsam vorzugehen.

Wie soll die Energiewende gestaltet werden?

Wir müssen nicht schnellstmöglich viele Windräder haben, sondern die Industrie im Land halten. In Frankreich und Belgien sind die Strompreise nur halb so hoch. Das trifft Hessen mit seinen Rechenzentren besonders. Denn dort gibt es den größten Internet-Knoten der Welt zwischen Flughafen und Stadt Frankfurt, der so viel Strom wie eine Stadt mit 110.000 Einwohnern benötigt.

Sind Sie für die Fortsetzung der Koalition von CDU/CSU mit der FDP nach den Bundestagswahlen 2013?

Wenn es die Mehrheiten zulassen, ja. Weil die inhaltlichen Schnittmengen am größten sind.

Trotz inhaltlicher Diskussionen wie um das Betreuungsgeld?

Diese Zahlung an Eltern, die ihre Sprösslinge nicht in den Kindergarten schicken, ist ein Seitenthema, das hochgespielt wurde. Nun aber hat sich die schwarz-gelbe Koalition auf das Betreuungsgeld geeinigt.

Die SPD will im Wahlkampf mit dem Thema Gerechtigkeit punkten. Wie kontert die CDU?

Die Sozialdemokraten werden damit wenig ausrichten. François Hollande hat heuer die Präsidentschaftswahlen mit einer Fülle von Versprechen unter dem Stichwort Gerechtigkeit gewonnen. Nun muss er jeden Tag Versprechen zurücknehmen, weil Frankreich abstürzt. Und was ist schon gerecht? Wer etwas leistet, dem nehme ich es weg. Wer sich nicht anstrengt, dem gebe ich es. Das ist nicht gerecht. Wer sich anstrengen möchte, es aber nicht kann, dem muss ich helfen. Die CDU steht für Leistung und Exzellenz. Sonst kann ich nicht solidarisch sein.

Apropos Solidarität. Bleibt es bei der angekündigten Klage von Bayern und Hessen gegen den deutschen Länderfinanzausgleich?

Im Dezember treffe ich die anderen Ministerpräsidenten und gehe nicht von einer Einigung aus. Das derzeitige System ist Unsinn: Hamburg erhält sich selbst. Bayern, Hessen und Baden-Württemberg finanzieren die anderen Länder. Hessen zahlt fast zwei Milliarden, davon die Hälfte an Berlin. Dort beschließt man, alle Kindergartengebühren abzuschaffen. Wir dagegen können nur das dritte Jahr gratis anbieten, mehr können wir uns nicht leisten. Wer sich wie Berlin nicht anstrengt, hat also keinen Nachteil. Unsere Klage ist daher ein Akt politischer Notwehr.

Zur Person

Volker Bouffier

ist seit 2010 Ministerpräsident von Hessen und stellvertretender Vorsitzender der CDU. Zuvor diente der 60-jährige Jurist ab 1999 als Minister des Innern und für Sport.